
Es war einmal, vor vielen, vielen Jahrzehnten in einem parallelen Universum, in dem ein eiserner Vorhang die Welt in Gut und Böse teilte und in dem die Möglichkeit eines Atomkriegs sehr real erschien. In dem Mädchen und Jungen auf die Straße gingen, um gegen die Aufstellung von Massenmordwerkzeugen gleich um die Ecke zu protestieren. Im Fernsehen, das drei Programme zur Auswahl hatte, die alle ab Mitternacht ein Testbild sendeten, kamen betuliche alte Schinken oder vom Staat geförderte Problemfilme. Der Science-Fiction-Autor Harlan Ellison hatte mal einen Roman verfasst mit dem Titel "Ich muss schreien und habe keinen Mund", und dieser Titel passte. Unter der Oberfläche brodelte es, etwas wollte raus.
Über einige Jahre etablierte sich eine neue Technik, die es erlaubte, Fernsehsendungen aufzuzeichnen. Die Geräte hießen Videorekorder und kosteten mit über 2000 DM einen Monatslohn, die VHS-Kassetten kosteten anfangs für 2 Stunden 30 Mark, für 3 Stunden 40 Mark. Ein Brötchen/Wecke/Semmel kostete 20 Pfennige, eine Schachtel mit 21 Markenzigaretten kostete 4 Mark.
Bald konnte man auch fertig bespielte VHS-Kassetten kaufen. Darauf waren Hollywood-Filme, die manchmal erst 3 Jahre alt waren (im Fernsehen kamen sie, wenn überhaupt, erst nach 5-8 Jahren). So eine Kassette kostete etwa 300 Mark. Unbekannte Produktionen gab es schon für 50 Mark. Die Video-Verleih-Läden schossen wie Magic Mushrooms aus dem Boden, man konnte ein Video für 5 - 15 DM / Tag ausleihen und mit Freunden gucken.
Die technische Qualität war unter aller Würde, die Filme waren gekürzt oder bereits im beschädigten Zustand gemazt worden, im Format kastriert und unter falschem Cover verhökert. All das spielte keine Rolle, denn der auch inhaltlich immer reißerischer und billiger werdende, direkt für Video produzierte Content erzeugte Appetit nach mehr. Wie sagte die Kommission, die im Auftrag der Kinobranche die Bedeutung höherer Auflösung im Digitalkino einschätzen sollte? "Jedes Geschichten erzählende Medium bricht zusammen, wenn es vor allem die Realität abbildet. Es muss immer Lücken geben, die die Einbildungskraft füllen kann!"
Diese Lücken wurden bis heute fast alle geschlossen. Der makellose, Netflix- oder Prime- zertifizierte Content besitzt keine Selbstironie, keine Subversion und praktisch kein Profil mehr. In virtuellen Filmclubs schwadroniert man derweil über immer phantastischere Auflösungen und ähnlichen sinnlosen Schnickschnack.