Vorsicht Spoiler!
iasi hat geschrieben:Die Kameraführung ist wahrlich beeindruckend. ...
... Und die Bärenattacke ist der beste Effekt des Jahres - gerade weil sie nichts von einem Effekt erahne lässt und so realistisch wirkt. ...
Immerhin gibst Du Kamera und Bärenattacke auf Seite 1 Deine Zustimmung.
Und schreibst dann
iasi hat geschrieben:... Die Handlung ist leider banal. Da war Jeremiah Johnson überzeugender.
oder oben, Seite 3:
iasi hat geschrieben:... Der Film ist gut - er packt einen - und er bietet neue Eindrücke (wortwörtlich) - damit rangiert er für mich auf Hitchcock-Niveau, denn auch Hitchcock wollte nie mehr als unterhalten.
Aber Film kann eben doch auch noch mehr als "nur" unterhalten.
Wie schon mal geschrieben: Damit ein Film irgendeine innere Saite zum Klingen bringt, braucht's beide Seiten: Den entsprechenden Film und den empfänglichen Zuschauer.
Wenn's nicht klappt, kann es
a) am Film
b) am Zuschauer
c) an beidem
(Nachtrag: Oder an einer schlechten bilateralen Verbindung -> 'Atmosphärische Störungen')
liegen.
Was nicht heissen muss, dass Du falsch liegst und ich richtig liege.
Aber ich stimme mit Dir überein:
Das ist keine vielschichtige, kunstvoll inszenierte "Theater"-Erzählung. Mit Einführung und Kennenlernen der verschiedenen Charaktere und ihrer Lebensumstände und langsamem Aufbau von Konflikten und Spannung (wie z. B. in William Wylers
The Big Country (Weites Land, 1958)).
Man wird hier mitten in die Handlung geworfen - in den düsteren, überfluteten Wald, durch den sich 2 Kundschafter vorsichtig bewegen. Man befürchtet feindliche Indianer, die ihr Jadgrevier verteidigen bzw. die abgehäuteten und gebündelten Felle erbeuten wollen. In der Nähe hat die zugehörige Gruppe Trapper und Soldaten ein Lager aufgeschlagen.
Und dann kommt auch schon der Angriff - der des Bären und der der Indianer.
Der Rest ist Überlebenskampf mit einzelnen Ruhemomenten.
Gnadenlos, unsentimental, amoralisch (Glass'' Gegenspieler Fitzgerald), banal (ein Pfeil, ein Schuss, und alles ist vorbei).
Und die Reportagekamera immer nah dran.
Und dann gibt's die andere Komponente, die Frank B. betont hat: Die unglaubliche Natur und die Verlorenheit darin, die einen auf sich selbst zurückwerfen, Liebe/Zuneigung in Andeutungen (Glass' Visionen, das Verhältnis zu seinem Sohn (der im Film eher wie ein Statist wirkt), die Erinnerung an seine Frau), Kooperation (aber eher erzwungene, soldatische im Wald oder geschäftliche - die Franzosen und die Indianer), Prinzipien (die riskante Umsorgung des Verletzten im Indianergebiet bis zum vermeintlichen Ende samt angeordnetem, 'anständigem Begräbnis' - trotz aller Widrigkeiten), gegenseitige Verständigung und Hilfe (der einzelne Indianer, der durch einen feindlichen Stamm seine Familie verloren hat, und Glass).
Zum Thema
"religös" oder nicht" wird hoffentlich der Regisseur selbst mehr sagen, wenn der Film in den Kinos einst ausgelaufen ist.
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Nachtrag:
Ich habe mittlerweile einige Kritiken gelesen (von Kritikern und Zuschauern), und tatsächlich ist da teils auch von Religion, aber auch New Age und Esoterik oder Mystizismus die Rede (das bezieht sich auf Glass' regelmässig eingestreute Erinnerungs-Sequenzen). Und nicht selten wird ein Bezug zu Terrence Malick (
Tree of Life) hergestellt, von dem ich bisher nichts gesehen habe (Darren Aronowskys Versuch
The Fountain hat mir gereicht und mich etwas abgeschreckt).
Es ist auch von Schuld, Sühne und Erlösung die Rede - Begriffe, die ich vor allem aus der Schul-Lektüre von Dostojewskis "Schuld und Sühne" in Erinnerung habe (später neu übersetzt mit "Verbrechen und Strafe").
Also, es bleibt in der Schwebe. Nachdem, was ich hier und sonstwo lese, ist die Spanne der möglichen Betrachtungen riesig: Man kann den Film als reines Rache-Abenteuer, als bildgewaltiges Naturspektakel oder als menschliches Drama mit mystisch-religiösem Unterbau betrachten. Oder sich in einem Film mit eher dunklen, erdig-grünen Naturfarben 2 Stunden lang bei Atmen und Robben langweilen und sich am Ende fragen: Was soll das Ganze?
Oder sich - wie ich - in ein filmisches 'Naturereignis' hineinziehen lassen, das man so intensiv lange nicht mehr erlebt hat - Interpretation hin oder her.
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Vorsicht Spoiler!
Zum Thema
"... Keine einzige Figur zeigt auch nur einen Ansatz von Vielschichtigket oder Widersprüchen." (
iasi) kann ich nur sagen: Stimmt nicht.
Fitzgerald selbst scheint manchmal zu zweifeln (aber das scheint wohl nur so).
Sein junger Begleiter ist voller Skrupel, ob er das Richtige tut.
Und als er eines Tages verzweifelt und wütend auf seinen Anführer Fitzgerald zielt und endlich eine Antwort wegen der Indianer am Fluss will, entreisst der ihm das Gewehr, dreht es um und drückt schliesslich ab. Klick. Und meint dann lakonisch: "Wenn Du das nächste Mal auf jemanden schiessen willst, sorge dafür, dass Pulver im Lauf ist!". Könnte 1:1 'Seewolf' Larsen sein, der da spricht.
Glass selbst kommen am Ende angesichts der Vollendung seiner Rache Bedenken.
Der einzelne Indianer zielt auf Glass, als der - vom Feuer angelockt - hungrig angekrochen kommt, aber tötet ihn dann nicht, sondern wirft ihm einen Batzen Fleisch hin.
Der prinzipientreue Captain der Truppe will Glass zunächst den Gnadenschuss geben, als es mit der Trage des Schwerverletzten nicht mehr bergauf geht, ein Aufenthalt hier aber alle gefährden würde. Drückt dann aber nicht ab.
Später will derselbe Captain den geflüchteten Fitzgerald ins Fort zurückholen, um ihn vors Militärgericht zu stellen - und bezahlt den Dienst nach Vorschrift mit dem eigenen Leben.
Und dann ist da noch die Indianertochter, die von Glass aus dem Lager der Franzosen befreit wurde, die aber am Ende im Beisein ihres Stammes wort- und grusslos an Glass vorbeireitet, wohl weil der zur 'falschen Seite' gehört - erinnert etwas an die wortlose Szene im Park am Ende vom
Dritten Mann (The Third Man, 1949). Oder an die letzte Szene in
Der Name der Rose (Jean-Jacques Annaud, 1986), nur dass da der Novize grusslos an 'seiner' unbenannten Schönen vorbeireitet (EDIT: Habe mir die Szene nun nochmals angesehen: Stimmt nicht ganz! Er hält an, sie greift seine Hand, er zögert, trifft dann eine Entscheidung und dreht sich im Wegreiten nochmals nach ihr um - dann folgt der Off-Kommentar mit der Begründung (er selbst aus der späteren Erinnerung), während beide Reiter langsam in der verschneiten Landschaft verwinden).
Es ist bis zum Schluss ein karge, harsche, wortarme Welt, die in
The Revenant präsentiert wird. Misstrauen und Missverständnisse überall. Oft aus gutem Grund - es gibt immer eine
Vorgeschichte.
Kaum mal ein Lächeln zu orten, eher ernste, argwöhnische, verschwiegene Gesichter (beim Protagonisten nur allzu verständlich, der hat nun wirklich wenig Grund zu lachen (einzige Ausnahme: Die Schneeflocken-Szene). Aber auch für alle Anderen gilt: Jeder Fehler könnte der letzte sein - oft geht's ums nackte Überleben). Da ist der zum Plaudern, Stänkern und Streiten stets aufgelegte 'Spieler' und Fatalist Fitzgerald eher die Ausnahme - aber wehe dem, der ihm in die Quere kommt. Nein, keine Welt, in die ich mich hineinwünschte, auch wenn Landschaft und Natur faszinieren und einschüchtern.
Warum habe ich mir "The Revenant" dann angeschaut?
Empfehlung? - Nein
Kritik gelesen? Nein
Trailer gesehen im Web? - Nein
DiCaprio-Fan? - Nein (aber ist er vielseitig und überzeugend)
Inarritu ein Begriff? - Nein, nicht als Name
Emmanuel Lubezki ein Begriff? - Nein, nicht als Name
Warum dann?
Es war der Kino-Trailer im Vorprogramm zu
Star Wars 7.
Als ich die Bilder sah, war sofort klar: DEN muss ich sehen und zwar möglichst bald.
Und als dann im selben Kino der Tarantino-Trailer von
Hateful 8 direkt danach folgte, war erst recht klar: DEN muss ich sehen (nein,
nicht den Tarantino!) - was für eine Differenz: Wuchtiger Film'realismus' versus Möchtegern-Furchtbarwild-Kostümschinken! ;-)