Die Kamera ist momentan im Ausverkauf für 550 EUR (Niederlande) - 600 EUR (D). Ein großer hiesiger (=niederländischer) Onlinehändler listet sie als ausgelaufen, was aber eine Ente sein könnte.
Ich hätte es ja selbst nicht gedacht, aber tatsächlich zugegriffen. Und zwar weil die Kamera als einzige in dieser Preisklasse 20fps RAW-Fotos mit einem Buffer von 75 Bildern (also knapp 4 Sekunden) schiesst, die man per Adobe DNG-Konverter in DNG-Sequenzen umwandeln und in Resolve faktisch als 5,4K-3:2-Open Gate-CinemaDNG graden und schneiden kann. Das interne 8bit-Video lasse ich dabei links liegen.
Positive Eindrücke:
- Die Kamera hat alle Funktionen und Menüoptionen einer Sony Alpha-Kamera (und ist deshalb IMHO für die gedachte Zielgruppe eigentlich zu komplex).
- Für meinen 16mm-Bolex-H16-ähnlichen RAW-Workflow ist der Highlight-orientierte (bzw. Spitzlichter vor Clipping schützende) Belichtungsmodus besonders praktisch.
- Der Sensor ist für seine 1" sehr gut; tatsächlich der einzige stacked CMOS-Sensor in dieser Preisklasse (danach kommt AFAIK erst die Fuji X-H2S für 2400 EUR...) mit den entsprechend schnellen Ausleseraten, geringem rolling shutter und schnellem Autofokus; Sonys bekannt guter Tracking-AF ist auch hier an Bord.
- Interner ND! (Auch für High-Speed-Fotoaufnahmen).
- Man kann auch bei dieser vereinfachten Kamera sich die wesentlichen Funktionen (in meinem Fall: ND-Zuschaltung, AE Lock) auf Tasten legen, und wie immer bei Sony das Quick-Menü sowie das "My Menu" praktisch frei konfigurieren und, wie bei allen Alphas, komplette Custom Modes programmieren, was gerade bei ungewöhnlicheren Workflows/Anwendungen wie meinen extrem nützlich ist und dazu führt, dass die Kamera genau richtig eingestellt ist, wenn man sie einschaltet.
- Das festeingebaute Objektiv ist mit f1.8-f2.8 vergleichsweise lichtstark (wenn man die Maßstäbe von 1"/Super 16mm-Zoomobjektiven zugrunde legt; die alte Nikon 1-Serie, die ich früher zu ähnlichen Zwecken hatte und die ebenfalls 1"-Sensoren verwendet, z.B. hatte nur f3.5-f5.6-Zooms und damit objektivseitig nur ein Viertel der Lichtstärke dieser Kamera)
- Die Bildstabilisierung ist sehr gut.
- Die eingestellte Zoom-Brennweite wird Kleinbild-äquivalent im Display angezeigt; praktisch zur besseren Orientierung.
- Die Auslösung des Tracking-AF über den Touchscreen funktioniert sehr gut/effizient. Dies ist eine der hochmodernen Sony/Canon-AF-Kameras, die man prinzipiell immer und ausschliesslich im Tracking-AF betreiben kann (jedoch mit den weiter unten genannten Einschränkungen).
- Die Kamera hat (anders als die Nikon 1-Serie) keine Einschränkungen bei den Verschlusszeiten im Highspeed-Fotomodus. 1/50 bei 20fps funktionieren.
- Das Ein- und Ausschalten der Kamera durch Ausklappen des Displays ist clever, die Haptik und das (nicht zu leichte) Gewicht sehr gut (mit einem aufgerauhtem soliden Kunststoff ähnlich wie bei Ricohs GR-Serie).
Negativ (aus der Sicht meiner speziellen Anwendung):
- Die Kamera macht keinen automatischen AE-Lock bei Serienaufnahme und scheint sich auch nicht entsprechend konfigurieren zu lassen. (Oder habe ich etwas in den Menüs übersehen?) Das ist vor allem ärgerlich, wenn man mit Auto-ISO arbeitet. (Die Nikon 1-Serie machte das besser.)
- Die Kamera hat keine Option, um bei gefülltem Buffer die Serienaufnahme zu beenden, sondern schiesst dann mit langsamer Framerate weiter (genau wie die A9; die alte Nikon 1 Serie machte das besser).
- Das SD-Karteninterface hat nur UHS-I und ist recht lahm (getestet mit einer schnellen Samsung Pro Plus-Karte) im Wegschreiben der gepufferten Raws.
- Auch das USB 2.0-Micro USB-Interface ist nicht zeitgemäß. Ärgerlich ist auch, dass es - laut Testberichten - im Webcambetrieb die Kamera nicht mit ausreichend Strom für den Dauerbetrieb versorgt, und sowieso der Betrieb der Kamera an einem USB-Netzteil ohne eingelegten Akku nicht funktioniert.
- Das Objektiv hat deutliches focus breathing bei Tracking-AF. Wahrscheinlich gehe ich doch zurück auf Single-AF. (Back button focusing geht, soweit ich das sehe, auch nicht, bzw. wenn überhaupt nur durch Opferung eines der ohnehin schon knapp vorhandenen frei belegbaren Funktionsknöpfe.)
- Natürlich verzeichnet das Objektiv heftig - vor allem im Weitwinkel -, wenn man die DNGs in Resolve importiert und daher keine Korrekturprofile hat.
- Latitude/DR (siehe
den gerade aktuellen Slashcam-Artikel zu diesem Thema...) sind bescheiden, bzw. die RAWs der Kamera einfach nicht so flexibel wie man es von anderen/großformatigeren Kamera gewöhnt ist. Wenn man die Highlights schützt und die Mitten deshalb in die Schatten rutschen lässt, handelt man sich Farbverschiebungen ein, die auch bei einem Raw DNG-basierten Farbkorrektur-Workflow in Resolve nur mühsam korrigierbar sind.
- Die Objektivqualität ist zwar IMHO sehr gut, wenn man 2K-Video mastert; auch subjektiv-ästhetisch z.B. im Schärfeabfall. Sie ist aber weniger gut, wenn man 18MP-Stills schiesst, weil Objektiv und Sensor Details (wie z.B. Haare oder Blätter) ziemlich matschig auflösen. Ich sehe hier eigentlich keine entscheidenden Vorteile der ZV1 (bzw. RX100-Serie) ggü. meinem (Google Pixel 6 Pro-) Smartphone, ausser der, dass durch das Zoomobjektiv auch die 35mm- und 50mm-Kleinbild-äquivalenten Brennweiten abgedeckt werden (während Smartphones wie das Pixel typischerweise nur 17mm-, 24mm- und 100mm-äquivalente Brennweiten nativ abdecken; den scheinbaren Nachteil, dass Smartphones immer offenblendig aufnehmen, halte ich für irrelevant, da bei dem 1"-Sensor der ZV1 die Diffraktion sowieso schnell einsetzt und man daher in den offeneren Blenden bleiben sollte; wahrscheinlich sind die Smartphone-Objektive sogar optisch besser, weil sie {a} Festbrennweiten sind und {b} auf ihre fixe Blendenöffnung optimiert).
Sowohl positiv, als auch negativ:
- Offensichtlich hat die Kamera einen starken Antialiasing-Filter/OLPF vor dem Sensor, was für Videoanwendungen (inkl. meinen eigensinnigen DNG-Workflow) vorteilhaft und für Stills-Fotografie nachteilig ist.
(Subjektives) Fazit
Kurioserweise finde ich die ZV-1 also weder eine bildqualitativ gute konventionelle Video-, noch eine gute Stills-Kamera, sondern nur eine spezialistische Highspeed-Raw-Kamera in der Nachfolge der alten Nikon 1-Serie (besonders der V1/V2/V3-Modelle); jedoch, acht Jahre nach der Nikon 1 V3, mit besserem/moderneren Sensor (stacked CMOS, im DPreview-Testbild und laut DxOMark auch ca. eine Blende bessere Schwachlicht-Performance), doppelt so großem Buffer (75 statt 40 Bilder), viermal so lichtstarkem Zoom und praktischem internen ND. Wobei die Nikon 1 V3 und J4/J5 bis zu 60fps Raws schiessen können...