domain hat geschrieben: ↑So 16 Apr, 2017 08:06Mit Scorsese war die Arbeit jedenfalls ungetrübt, weil beide die Aussage einer Szene bereits vor der Aufnahme im Hirn total visualisiert hatten.
Und da stellt sich mir die Frage, wie weit die Gestaltungsmöglichkeiten eines hervorragenden Kameramannes eigentlich gehen können.
Der Direktor der Fotografie, wie die Amis sagen, oder
lighting cameraman, wie es früher mit gleicher Bedeutung in England hieß, ist nur selten das, was man sich hierzulande unter einem Kameramann vorstellt. Er bedient nur teilweise selbst die Kamera, ist aber Chef aller Kameramänner. Und der Beleuchter. Er konferiert im Vorfeld mit dem Produktionsdesigner, der Chef der Ausstatter (Logistik) und Requisiteure (Platzierung von Gegenständen am Set selbst) ist. In Deutschland wird der Produktionsdesigner oft Bildgestalter genannt, was ja gefühlt die Domäne des Kameramanns ist. In Wirklichkeit ist das alles perfekt eingespieltes Teamwork ohne Konkurrenzdenken, im Dienste des Ganzen. Auch Kostüm und Maske tragen bei (es wäre falsch zu sagen
sind dem untergeordnet).
Die Rolle des amerikanischen DoPs ist traditionell die eines Technikers, der mit Kenntnissen über alle Aspekte der Aufnahme und viel Erfahrung die Verantwortung dafür übernimmt, dass alles so rüberkommt wie
geplant. Eigene Kreativität, selbstherrliche Gestaltung, riskante Kamerabewegungen oder Lichtsetzungen galten und gelten als unprofessionell. Das führte dazu, dass Kameraleute überwiegend konservativ, auch politisch, waren und mit experimentier- und risikofreudigen "Fotografen-Regisseuren" in Clinch gerieten.
Im von slashCAM-Mitglied Achim Dunker verfassten Filmlicht-Buch
Die chinesische Sonne scheint immer von unten zeichnet sich ein Paradigmenwechsel ab. Die Kamera für
Der Name der Rose leitete der versierte italienische Kameramann Tonino Delli Colli. Seine konservative Lichtsetzung wird im Buch von jüngeren Kollegen heftig kritisiert. Sie habe dem Film erheblich geschadet, weil sie alles Atmosphärische weggeleuchtet habe. Moderne DoPs verfallen diesem Fehler nicht mehr, trotzdem gehen sie stilistisch auf Nummer Sicher. Was berühmte Kameramänner berühmt machte ist, dass sie Stil-Wagnisse eingingen, die keine selbstverliebten Mätzchen waren, sondern die Wirkung des Films verstärkten. Von ferne betrachtet ist eine langweilige, aber unaufgeregte Kamera (mit Licht) noch hundertmal besser, als irgendwelche misslungenen Experimente. Aber
In The Mood For Love wäre trotz farbenprächtiger Ausstattung und toller Schauspieler-Regie mit einem Traumschiff-Kameramann nicht der Rede wert gewesen ...
RWF und Scorsese gehören definitiv in die Kategorie experimentierfreudige, aber effiziente Filmemacher. Der ideale Kameramann für sie war ein Typ, der technisch mit allen Wassern gewaschen war, aber kein betriebsblinder Filmschul-Idiot, sondern im Herzen immer noch ein Amateur im besten Sinne (daher wohl die Beiträge für Zoom). Ballhaus war so. Er hätte Orson Welles' berühmten Spruch über das Kino bestimmt unterschrieben: "The biggest electric train set any boy ever had!"
Na und? Im Fernsehen wird ja auch alles wiederholt ...