iasi hat geschrieben:Bei einem Kameraschwenk wird die Kopfbewegung simmuliert.
Ich weiß, was du sagen willst, aber es ist ungenau formuliert und deswegen
im Ergebnis falsch. Genau formuliert müsste es heißen: ein Panoramaschwenk wird vom Zuschauer im selben Sinne verstanden wie das Sich Umsehen in einer natürlichen Umgebung, obwohl dies nach einem völlig anderen Prinzip abläuft.
Über dieses Prinzip brauchen wir nicht mit wilden Behauptungen uns gegenseitig des Irrtums zu bezichtigen, wir können es direkt testen. Ideal ist z.B., wenn du, wie ich, vor einem Desktop-Rechner an einem Drehstuhl sitzt. Der Drehstuhl ist in diesem Versuch jetzt mal der Schwenkkopf.
iasi hat geschrieben:Natürlich bewegen sich dabei dann die Pupillen des Zuschauers und erfassen einzelne Details im Bild.
Was im Einzelnen beim Sehen, geschweige denn beim Wahrnehmen passiert, ist noch komplizierter, aber dieses "Erfassen" ist verkürzt gesagt ein Hängenbleiben, eine Fixierung an "Motiven", Strukturen, die inhaltliche Einheiten darstellen - Haus, Baum, Auto, so in dem Sinne. Danach scannt das Auge in einem stakkatoartigen Vor-und-Zurück-Schwenk die Aussicht nach dem nächsten Blick
fang. Das 360° Panorama ist in Wirklichkeit aus tausenden
Abbildern zusammengestitcht.
iasi hat geschrieben:Selbst bei schnellen Kopfbewegungen arbeiten die Pupillen ausgleichend gegen die Bewegung, um Unschärfen zu vermeiden.
Ausgleichend?
Wenn ich das jetzt so gerade nachzuvollziehen versuche, stelle ich fest, dass ich sofort das Gefühl habe, warte mal, mit dieser Bewegung kann ich meine Umgebung nicht gut erfassen, das ist, um mit dir zu sprechen, Quatsch. Wieso drehe ich nicht gleich den Kopf so, wie es mir mein Kopf vorschlägt, nämlich mit "mehreren Takes"? Im Selbstversuch kommt es mir so vor, als wolle mir mein innerer Cutter einen mittelschnellen 360°-"Schwenk" lieber in einer 5er oder 6er Standbild-Sequenz zeigen. Bei dir / euch?
iasi hat geschrieben:Unschärfen sind dabei unerwünscht - auch bei schnellen Kopfbewegungen - die Pupillenbewegung wirkt dabei ausgleichend.
Darüber habe ich jetzt ein paar Minuten nachgedacht und es im Selbstversuch nachvollzogen. Es gelingt mir nicht, mir beim normalen Sehen das Begriffspaar Schärfe/Unschärfe überhaupt bewusst zu machen. Das, was ich fixiere, ist automatisch scharf. Was heißt beim natürlichen Sehen Unschärfe? Natürlich kann ich den Fernsehturm am Horizont über meinen Zeigefinger vor der Nase fixieren und vice versa, aber sowas Albernes macht man doch nicht, wenn man sie noch alle hat. sDoF ist Kino-Semantik, nichts, was physiologisches Sehen simuliert. Dito Panoramaschwenks.
iasi hat geschrieben:Gerade bei Schwenks kennt das Auge eigentlich kein Motion Blur.
Bei Panoramaschwenks kennt es sie nicht, weil es sie gar nicht machen kann. Und bei Verfolgungsschwenks?
Das habe ich vorhin auf der Straße probiert. Eine ältere Dame. Ich fixierte sie. Was geschah mit der Umgebung? Wurde sie unscharf? Verschmiert?
Es ist noch viel wilder. Nichts wird unscharf, aber die Umgebung mutiert zu einer Art als gegeben hingenommener Staffage, die man akzeptiert, aber nicht wirklich "sieht". Das wurde mir schlagartig klar, als ein Mädchen mit einem knallroten Regencape plötzlich an der Dame vorbeiging. Es war nicht durch ein Wurmloch plötzlich in die Szene getreten, sondern hatte sich durch die Signalfarbe im herbstlichen Grau meine Aufmerksamkeit, die willkürlich auf die alte Dame gerichtet war, erkämpft. In diesem Augenblick hatte ich die rote Jacke fixiert, dagegen war ich völlig machtlos. Ich
wusste, die alte Dame war noch da.
Für mein Empfinden ist der Motion Blur, der die Umgebung verschmiert und das verfolgte Motiv freistellt zwar nicht physiologisch korrekt, aber psychologisch plausibel. Die Umgebung wird unwichtig.
Ich finde, jeder sollte das mal versuchen und dabei genau beobachten, genau unterscheiden, was er jeweils wirklich
sieht.
Die meisten sind sich ja auch der Tatsache nicht bewusst, dass das natürliche Sehen - vom reinen Linsen-Sensor-Apparat Auge her - ständig eine Unschärfe-Dunkelheit-Entsättigungs-Vignette zeigt. Nur ein paar lächerliche Grad unseres Gesichtsfelds können auf einmal scharf, hell und in Farbe erfasst werden. Zum Glück nehmen wir nicht so wahr. Aber auch das kann man leicht testen. Ich
weiß, rechts von mir ist das Bücherregal, ich
weiß, es hat bunte Buchrücken, aber solange ich stur geradeaus starre, kann ich es nur vage erahnen, es könnte auch eine irgendwie gemusterte Tapete sein,
möglicherweise farbig.
Was nun den 60 fps Verfolgungsschwenk von der RED-Seite betrifft, testet bitte mal, ob ihr die Bäume im Hintergrund auch in etwa so seht:
Das Video (benutzt, wie RED empfiehlt, den Download-Button, damit euch euer Browser keinen Streich spielt) enthält keinen nennenswerten Motion Blur, wie ein Einzelbild beweist:
Vielleicht
sollte es besser mehr Motion Blur enthalten. Oder wie
seht ihr das?