-paleface- hat geschrieben: ↑Fr 16 Feb, 2018 10:41
Jeder weiß, es ist im Februar und jeder hält sich automatisch irgendwie dieses Wochenende frei.
Wenn man also was drehen möchte...dann genau da.
Nein. Kein ernstzunehmender Filmemacher den ich kenne, hält sich diesen Termin frei. Es gibt allein in Europa über 400 Kurzfilmfestivals, wieso dann ausgerechnet hierfür, für ein schwachsinnigen Kommerzwettbewerb, seine Zeit verschwenden?
Es ist eine Nabelschau der Imagefilmer, nicht mehr. Es ist eine Leistungsschau der Leute, die sich auch sonst im Leben an alle Vorschriften halten und nur bei grün über die Ampel gehen. Echte Filmemacher haben eine eigene Sicht auf die Welt und versuchen diese Welt geistig wie künstlerisch zu durchdringen. Stellen eher Fragen, als Antworten zu geben. Das hört sich jetzt eventuell nach viel an, ist es aber auch - und exakt danach wird in den Aufnahmeprüfungen der Filmhochschulen gesucht. In einer Welt, in der gefühlte 90% der uns umgebenden Menschen genormte Mitläufer sind, benötigt es auch Künstler, Autoren, Filmer, die empfindsam sind, darum die Dinge in Frage stellen und aus dieser Differenz heraus arbeiten. La differance -
die Kunst der Dekonstruktion. Die 400 europäischen Kurzfilmfestivals suchen mehrheitlich nach eben solchen Leuten bzw. derer Werke. Nach Künstlern, nicht nach Kunsthandwerkern. Langfilme abseits des Mainstreams haben meist dann eine Chance, wenn sie künstlerisch originell und von der Grundhaltung nicht genormt sind, das hat selbst Steven Spielberg erkannt und gezeigt.
Der Unterschied ist etwa so: Bei den Bundesjugendspielen gehen die Imagefilmer an den Start, um zu gewinnen. Sie machen mit, den Vorgaben entsprechend, weil die Vorgaben eben nunmal da sind. Der
Filmemacher stellt das System des Wettbewerbs an sich in Frage und humpelt los wie der Glöckner von Notre Dames. Der Imagefilmer erhält die Siegerurkunde, der Filmemacher hingegen die Lacher auf der Tribühne, den Hass der Sportlehrer und die Mädels auf der Party.
Der 99Fireawards spornt die Imagefilmer an, den Vorgaben entsprechend Kunsthandwerk vorzuführen. Und das machen die Teilnehmer mehrheitlich. Ich habe mal durchgescrollt, hier und da mal reingeklickt, bei diversen Beiträgen. Ich bin einiges gewohnt, aber das Maß an Unterwürfigkeit gegenüber solch schwachsinnigen Vorgaben ist trotzdem erschreckend. Viele nett gemachte Szenen, durchaus. So wie man die Bilder im Louvre auch mit Malen nach Zahlen für sich entdecken kann, werden hier gewohnte Szenen und Einstellungsfolgen aus bekannten Filmen nachgemacht. Bedeutungsschwangere Einstellungen, tragende Musik, leidende Blicke, einsame Sitzer im Garten, am Fluß, auf der Parkbank. Bloß: Was wollen uns diese Menschen mitteilen? Die Imagefilmer, die dieses Zeug drehen, wollen keine eigene Weltsicht zeigen, haben vermutlich keine eigene entwickelt, benötigen keine - das kommt deutlich raus. Sie schaffen Form, nicht Inhalt. Genormte Menschen, genormte Filme wollen den Award gewinnen, denn dabei sein ist alles. Das was die Masse macht auch machen, als ein Fisch im Strom.
Gute Filme schaffen es auf internationale Wettbewerbe und beginnen dort als Werk Werbung für die Macher zu machen, schaffen dadurch Möglichkeiten für Größeres. Kein Mensch, den ich kenne, verplempert seine Zeit mit solche einem Mist wie dem 99Fireaward und gibt dann hinterher sogar noch sein Rechte für lau ab. Wenn schon Wettbewerb - warum dann nicht einen Film für den Wettbewerb in Oberhausen drehen? Oder für das Filmfest Dresden? Oder für Clermont-Ferrand? Dort gibt es viel mehr Geld zu gewinnen, wenn es nur darum geht, und wohl auch Ruhm. Aber in Oberhausen, Dresden, Clermont-Ferrand geht es um was anderes - das, was sich nur schwer erfassen lässt, vielleicht darum, das Echte mit eigenem Blick zu zeigen. Darum, die oft verschüttete Wahrheit an manchen Ecken wieder behutsam freizulegen, Stück für Stück. Und garantiert ohne Cheeseburgerzwang ;-) Habe ich schon erwähnt, daß es in Europa noch über 400 weitere Kurzfilmfestivals gibt auf denen mehr zu gewinnen ist als bei diesem Imagefilmerwettbewerb?
Über 2500 Mitmacher... Film als Erzählform ist jetzt, wo es der Form nach alle machen, ohnehin tot, so scheint es. Die Kinozuschauerzahlen sind rückläufig, das Fernsehen beginnt zu siechen und Leute schauen sich noch kurze Clips auf Facebook und Instagramm an - so weit so klar. War ne schöne Epoche, aber wenn es tausende bereitwillige Mitmacher beim 99Firefilmaward gibt, geht diese Epoche zu Ende, so wie einst die klassische Musik, als sämtliche Bürgerkinder der Großstädte des 19. Jahrhunderts Klavier spielen lernten und mit dem Komponieren anfingen ohne Ansatzweise dafür begabt zu sein. Die Komponisten versuchten die Flucht nach vorn - und töteten die Musik.
Echte Kunst braucht Empfindsamkeit für das Echte, diese Empfindsamkeit macht oft einsam - eine Todsünde in der heutigen Zeit. Anders das Kunsthandwerk: Es braucht Gesellschaft und scheut die Einsamkeit, muß verkauft werden, bietet daher die passende Lüge für jede Lebenslage. Passgenau für den 99Firefilmawards. Alles gut soweit. Nur eben nichts für echte Filmemacher, die sich deshalb auch nicht den Termin freihalten;-)
Lieber glaub ich Wissenschaftlern, die sich mal irren, als Irren, die glauben, sie seien Wissenschaftler.