
Vom Drehen auf 8 mm Zelluloid
Es ist, als würde man bei null Anfangen. Da fasse ich das erste Mal in meinem Leben echtes Filmmaterial an und lande am Ende auf der eigenen (Welt-) Premiere in Cannes während der 70. internationalen Filmfestspiele.
Für den Straight-8-Wettbewerb in London habe ich mit drei Freunden, einen Kurzfilm auf analogem 8 mm Film gedreht, der nur in der Kamera geschnitten werden darf. Er muss auf einer einzelnen Super 8 Kassette passen (bei 18 fps ca. 3' 20" Laufzeit). Ohne Postproduktion – chronologisch. Der fertige Film wird belichtet aber unentwickelt ins Labor nach London geschickt.
Das ist ein Nervenkitzel, wenn jede Einstellung stundenlang vorbereitet und letztendlich nur einmal aufgenommen werden kann. So haben wir an neun Drehtagen, je etwa 20-25 Sekunden produziert. Die Postproduktion fand im Prinzip schon während der Drehbuchphase statt und wurde nur noch in der Kamera ausgeführt.
Unser Kurzfilm »Threshold« erzählt die Geschichte eines Mannes (gespielt von Christian Freund), der herausfinden will, was nach dem Tod passiert. Er nimmt die Reise ohne Rückkehr auf sich, um diese Frage aller Fragen zu beantworten. Sein Selbstmord ist nur der Anfang.
Das Wort „threshold“ beschreibt in der Drehbuchlehre des englischsprachigen Raumes, den Wechsel zum nächsten Akt; wenn der Held, über die eine Schwelle tritt, nach der es kein Zurück mehr gibt.

Doppelbelichtung: Der Film muss in absoluter Dunkelheit, bildgenau zurückgespult werden
Der Soundtrack wurde vom Komponisten Fabian Beeren „blind“ erstellt und als Audiodatei nachgeliefert. Viele alte 8 mm Kameras können zwar noch theoretisch den Atmo-Ton aufzeichnen, aber modernes Super-8-Material hat keine Tonspur mehr, die den Originalton am Set aufzeichnen könnte. Lippensynchronität ist so kaum zu erreichen. Es war eine Herausforderung die Tonspur, gerade in der Exposition, so genau wie möglich zu setzen.
In-Kamera Trickkiste der Altmeister
Ich habe mich in die Geschichte der In-Kamera-Tricks eingenerdet. Für unseren Kurzfilm habe ich die Trickkiste der Altmeister aufgemacht: Schüfftan-Verfahren, Doppelbelichtung, Rückprojektion und Matte Painting. Allesamt, gut 100 Jahre alte Tricks aus den Zeiten vor After Effects. Gerade die Mehrfachbelichtungen verlangten nach einer Frame-genauen Vorbereitung und Dokumentation während der Dreharbeiten.

Schüfftan-Verfahren: Ein Blick durch den Sucher der Kamera

Matte Painting vom Essener Künstler Lex Spielmann
Gedreht habe ich mit der Canon 1014 XL-S, ein robustes Arbeitstier, welches trotz seiner knapp 40 Jahre auf dem Buckel, nicht ein einziges Mal herumgezickt hat. Eine zeitlose Kamera, wie ich finde, die in Gestaltung und Bedienung modernen Kameras kaum hinterherhinkt.
Benutzt habe ich Kodak Vison3 200t Filmmaterial. Unfassbar gerne hätte ich den Kurzfilm auf schwarz-weiß Material gedreht aber einer der wenigen Vorgaben des Festivals, ist der Dreh auf Negativ-Farbfilm. Im Nachhinein betrachtet, hätte der Geschichte auch körnigeres 500er-Negativ-Material eine Spur besser gestanden.


Mein Arbeitstier die Canon 1014 XL-S
Ob alles geklappt hat, sehen 40 der 136 teilnehmenden Teams aus der ganzen Welt selbst zum allerersten Mal am 9. Juli 2017 in London – zusammen mit dem Publikum.
Aber …! Unter den 136 Beiträgen wurden auch acht Filme von einer Fachjury ausgewählt, einen Monat vorher Weltpremiere in Cannes zu feiern – während der 70. internationalen Filmfestspiele! Bäm!
Premiere in CANNES! … wtf!?
Wir liefen mit unserem Kurzfilm als einziger deutscher Beitrag mit sieben weiteren Filmen aus aller Welt, zur Primetime um 20:30 Uhr im Cinema les Arcardes. Mittendrin im Festivaltrubel. Wir hatten eine verdammt gute Zeit in Cannes. Der Kinosaal war bis auf den letzten Platz voll besetzt und die Party danach viel zu kurz. Die sieben anderen Filme im Programm waren durch die Bank sehr gut, absolut sehenswert und nach meinem Geschmack.

Kurz vor der Premiere in Cannes
Und dann war da ja noch die eine Sache: Ob alles geklappt hat? Immerhin haben wir das Ergebnis zum allerersten Mal, zusammen mit dem Publikum in Cannes gesehen. Ein Adrenalin-Moment – der Film fängt zu leuchten und neben der Erleichterung, dass es der Film bis hierher geschafft hat, sehe ich direkt Dinge, aus denen ich für das nächste Projekt lernen kann. Da ist z. B. die Sache, dass rechts und links auf dem fertigen Film mehr zu sehen ist, als durch den Sucher der Kamera. Oder das der Film insgesamt eine halbe bis ganze Blende zu hell ist. Oder all die vielen anderen Fehler, die hoffentlich nur ich sehe – ich bin von Natur aus mein größter Kritiker.
Die anderen Schmalfilmprofis waren jedenfalls recht angetan; vor allem von den alten In-Kamera-Tricks. Die Tonspur war wie gehofft am Anfang synchron mit dem Bild; hinten raus lief beides etwas auseinander, was aber kein Problem war, da wir damit gerechnet hatten und den Soundtrack etwas schwammiger an den „Schnitt“ angepasst hatten. Und wenn schon eine Jury der Meinung ist, der Film gehöre in Cannes unter den acht Besten gezeigt, dann widerspreche ich nicht.
Ich liebe auf jeden Fall den Charme des Unperfekten und die unnachahmliche Ästhetik des Schmalfilms. Dies war meine allererste Super-8-Kassette; überhaupt das erste Mal, dass ich mit analogem Film gearbeitet habe.
Unseren Super-8-Kurzfilm und weiteres Bonusmaterial gibt es nach dem Screening in London auf meinem YouTube Kanal.

Besten Dank an den harten Kern: Christian Freund, Bernadette Siebers, Fabian Beeren, Lucas Blank, Kay Laese, Elisabeth Mader

„A dark masterclass in in-camera effects“ (Straight 8 Filmfestival, 2017)
Super-8-Film rockt ordentlich!