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eigenen film verkaufen



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Vegas forever
Beiträge: 55

eigenen film verkaufen

Beitrag von Vegas forever »

Ich wollte mal interessehalber wissen, wie das läuft wenn man einen eigenen Film hat und den vermarkten will.

-wie kommt so ein film in den Laden
-wie findet man einen publisher für seinen Film
-wie kommt der Film ins Fernsehen

usw...



Reimer Reimer
Beiträge: 120

Re: eigenen film verkaufen

Beitrag von Reimer Reimer »

Hallo Vegas forever,

die kurze Antwort lautet:

Die richtigen Leute müssen auf deinen Film aufmerksam werden.

Die längere Antwort gebe ich dir am besten, indem ich ein wenig von
meinen mehr oder weniger geglückten Versuchen erzähle, eine Antwort
auf deine Frage zu finden.

Die richtigen Leute findet man auf einem Filmfestival.

Man reicht seinen Film bei einem wichtigen Nachwuchsfestival ein wie dem Max-
Ophüls-Festival in Saarbrücken.

Im Januar 2007 wird dann gewürfelt.

Ein paar Leute sehen sich den Film an und beratschlagen darüber, ob der Film gezeigt
wird und in welcher Reihe er laufen sollte. Ich habe mit "meinem" Film Pech: er
rutscht - die Entscheidung ist knapp - in eine Nebenreihe. Im
Hauptwettbewerb tummeln sich die „besseren“ Werke.

Es reisen einige Leute an, die sich „meinen“ Film ansehen wollen. Alle
sind "begeistert"
vom "Roten Teppich", aber leider nicht so richtig. Richtige Begeisterung trägt einen
Namen: Vertrag. Später erfahren die Filmemacher, Andrea und Eric Asch, von einer der
angereisten Vermarkter, dass "Der Rote Teppich" nicht fürs Kino geeignet wäre, weil
darin zuwenig geschähe. Axel Brauns scheitert zum Beispiel nicht, der Film wäre
besser, wenn ich stürbe.

Tja, das ist in der Tat ein deutliches Defizit meiner Biographie.

"Mein" Film ist also zu still. Und diese Entscheidungen werden immer wieder gefällt.
"Der Rote Teppich" hat keine Ellbogen. Andere Filme drängeln sich vor.
Bei vielen, vielen Festivals gibt es Absagen. Es gibt aber auch Zusagen. So in den USA

The Red Carpet

Anfang Juni sind die beiden Filmemacher dennoch von all den Absagen derart
enttäuscht, dass sie aufgeben und sich bei melden. Ich höre mir all diese Geschichten
zwischen geschürten Hoffnungen und bitteren Enttäuschungen an und mache mir ein
paar Gedanken.

Wie vermarktet man einen Film, der zu still ist?

Meine Vorschläge gefallen ihnen. Wir schließen einen Vermarktungsvertrag. Und auf
einmal hat der Film Glück! Bei einer wichtigen Entscheidung erhält er das Prädikat
"Besonders wertvoll" und wird zum Dokumentarfilm des Monats September 2007
gewählt.

Der Weg ist vorgezeichnet. Wenn der Kinostart glücken sollte, werden auch DVD-
Verlage aufmerksam. Die Schallmauer läge bei 10.000 Zuschauern. Besser wären
20.000 bis 30.000 Zuschauer.

Im Fernsehen wird der Film auf jeden Fall laufen. Der BR hat ihn coproduziert.
Coproduziert hat er ihn, weil Andrea und Eric Asch an der HFF München
Dokumentarfilm studieren und bereits ihren vorigen Film, einen 45-Minüter,
für den BR gedreht haben. Diese Kontakte sind bereits da gewesen.

Wie habe ich es aber geschafft, Andrea und Eric Asch zu überzeugen, dass sie zwei
Jahre ihres Lebens einsetzen und ihren Abschlussfilm über mich drehen?

Vorangegangen sind bei mir geschürte Hoffnungen und bittere Enttäuschen en masse.
Da gibt es diesen Traum: es gibt so viele Filme über Autisten, es ist an der Zeit, dass
auch einmal ein Autist einen Film dreht. Ich will diesen Film drehen. Ich will einmal
nach Hollywood und dort Filme drehen. Doch alle Produzenten, die sich an mich
wenden, um die Verfilmungsrechte an meinen Romanen zu erwerben,
lehnen letzten Endes den Ankauf ab, weil sie es für unmöglich erachten,
einen Autisten als Regisseur durchzusetzen:

„Herr Brauns, wie sollen wir Sie durch die Filmförderung bekommen?“

Einem Autisten, der weder Regie studiert hat noch einen Film als Referenz vorweisen
kann, traut niemand Regie zu führen: das war Weihnachten 2004 mein Fazit.

Ein paar Tage später hörte mein Bruder, der all meine Enttäuschungen
und all meine Niederlagen über ein Jahrzehnt lang miterlebt hatte,
geduldig meinen Plan an:

„Ich habe von Januar bis März 2005 in Stein am Rhein ein Stipendium.
Ich nehme die 2.200 Euro, die ich als Stipendium bekomme und drehe
einfach meinen Film.“
„Du hast aber gar kein Drehbuch“, sagte mein Bruder.
„Das ist die Wette, die ich der Welt anbiete. Ich habe weder Regie
studiert noch jemals einen Film gedreht. Ich kenne niemanden in der
Schweiz. Ich habe kein Drehbuch, doch ich drehe in fünf Wochen meinen
Film. Wenn ich richtig gut bin, schaffe ich es. Wenn ich scheitern sollte,
hätte ich es auch nicht verdient nach Hollywood zu kommen.“
„Das stimmt“, sagt mein Bruder

Manchmal wünsche ich mir mehr Aufmunterung. In diesem Fall bin ich
glücklich, dass mein Bruder Skepsis walten lässt. Silvester hole ich mein
Sparbuch hervor, 6.000 Euro haben sich darauf angesammelt, und ich
verbringe den Abend allein. Ich habe das Sparbuch nie angerührt, weil
ich das Geld für eine Weltreise aufhebe, für die ich seit dem Abitur spare.

Um Mitternacht fälle ich die Entscheidung: Wer will schon bis Australien
reisen, wenn er bis zum Bodensee gelangen kann? Für 8.000 Euro kann
man einen No-Budget-Spielfilm drehen, davon bin ich überzeugt. Ich
werde das Sparbuch plündern.

Am 3. Januar 2005, zwei Tage vor der Abreise, ruft mich eine Studentin
der HFF München an: Andrea Asch. Sie habe meinen autobiografischen
Roman gelesen, ist begeistert davon und würde gerne über mich einen
Film drehen. Und in diesem Gespräch gelingt es mir, Andrea einen
Dreh „anzudrehen“, für den es noch kein Drehbuch gibt.

Sie traut es mir zu, dass ich das schaffe.

Sie erzählt ihrem Mann, Eric Asch, von ihrem Vorhaben, mich zwei Jahre
lang zu begleiten auf meinem Weg zu meinem ersten Film. Er ist von
dem Vorhaben begeistert. Später erzählen sie ihren Professoren von
diesem Vorhaben. Die Professoren sind begeistert. Dann erzählen sie
dem BR von dem Vorhaben. Der BR ist begeistert. Dann erzählen sie der
Filmförderung von dem Vorhaben. Die Filmförderung ist begeistert.
Andrea und Eric treiben viel Geld auf.

Und so nimmt ein seltsames Filmprojekt seinen Anfang. Da dreht jemand
in Deutschland einen Spielfilm und das Making-of dazu hat einen 24 Mal
so hohen Etat wie der zugrunde liegende Spielfilm. 192.000 Euro sind am
Start, um zu dokumentieren, wie ich meinen 8.000-Euro-Film drehe. Ich
sehe anfangs in dem Dokfilm allein einen Vermarktungsfilm. Ich schenke
den beiden Studenten alle Zeit der Welt, die sie brauchen, um einen
guten Film zu drehen. Am Ende haben sie 100 Stunden Material und
beginnen ihren Film zu schneiden, der am Ende ein Film sein wird, bei
dem eigentlich alles herausgeschnitten worden ist. (So mein Eindruck ...)

Im Januar 2007 sitze ich in Saarbrücken in einem Multiplexsaal und sehe
mich auf einer riesigen Leinwand. Das habe ich nie gewollt: im
Mittelpunkt eines Kinofilms stehen. Ich habe bis Mitte 30 nur für mich
gelebt. Hatte weder Fernseher noch Freunde, habe nur Geld gespart für
eine Weltreise. (Als kleiner Junge habe immer davon geträumt, mich mit
meiner Schaufel durch die Sandkiste bis nach Australien durch-
zubuddeln ... hat nie geklappt.) Und „Der Rote Teppich“ kommt beim
Publikum hervorragend an.

Er funktioniert und gleichzeitig funktioniert er nicht. Ich sehe es.

Dem Film fällt etwas: Ellbogen ...

Es ist offensichtlich. Doch ich vertraue meinen Eindruck Eric und Andrea
nicht an. Sie haben im Schneideraum die falschen Entscheidungen
getroffen. Ganz klar. Der Film ist zu still.

Und gleichzeitig ist er zu gut.

Das wird viele Niederlagen geben.

Das ist bitter.

Andrea und Eric laufen sich monatelang die Hacken ab und ernten
Absagen ohne Ende. Sie werden immer einsilbiger, rufen mich immer
seltener an. Wenn Hoffnungen sterben, zieht man sich zurück. Ende Mai
geben sie auf. Sie sind gescheitert bei ihrer Suche nach einem Verleiher.

Wie macht man das: einen „Publisher“ finden?

Ich unterhalte mich lange mit Eric, vertraue ihm auch meinen Eindruck
aus dem Januar an: der Film ist zu still. Er stimmt mir zu. Er weiß, dass
sie im Schneideraum und beim Dreh Fehler gemacht haben. Er weiß, das
wird bestraft. Ich fälle eine Entscheidung. Wobei ich eigentlich keine Wahl
habe. Zwei Jahre meines Lebens habe ich für diesen Film gegeben. Auf
ein weiteres Jahr kommt es nicht an ...

Meine erste Aufgabe ist klar: nachdem mein Vermarktungsfilm zu „gut“
geworden ist und als eigenständiger Film funktioniert, muss ich einen
Vermarktungsfilm zu meinem Vermarktungsfilm drehen.

Ich kaufe zwei Kameras, ein paar Lichtkoffer und Tontechnik, stelle einen
Freund, der Regisseur werden will, als Praktikanten ein; er wird sich um
Kamera und Schnitt kümmern wird und wir drehen los: „Feuer und
Flamme“ nimmt seinen Anfang. Sobald ich genügend Material beisammen
habe, werde ich mich an Verleiher wenden.

Wie viele Youtubelein muss ich von 222 geplanten beisammen haben?

Die kleinen Filme sollen höchstens eine Länge von 30 Sekunden bis
2 Minuten haben. Irgendwann Anfang nächsten Jahres werden die Filme
vorliegen. Dann nehme ich den Telefonhörer in die Hand und rufe alle
Verleiher an, die keine Geheimnummer haben.

Wenn ich Glück habe, finde ich einen „Publisher“ für meinen Spielfilm und
für den „Roten Teppich“. Das Konzept ist: „Feuer und Flamme“ läuft im
Internet als kleiner, „fieser“ Viral, der täglich eine Fortsetzung hat; mein
Spielfilm läuft vielleicht sieben Mal die Woche in einem Kino und „Der
Rote Teppich“ bekommt ein bis zwei Vorstellungen in der Woche als
Begleitung.

Wenn ich kein Glück habe, schütteln alle „Publisher“ den Kopf und ich
werde mir die Verleiharbeit selbst machen. Mindestens 1.000 Zuschauer
will ich ins Kino locken, besser natürlich 10.000. Dann bestünde die gute
Aussicht einen DVD-Verlag zu finden, der meinen Spielfilm und vielleicht
auch den „Roten Teppich“ herausbrächte. Und vielleicht fände sich dann
auch ein Fernsehsender, der meinen Spielfilm ankaufen mag. Wenn das
geschähe, könnte ich die Flugreisen nach Australien buchen.

Wenn ich keine 1.000 Zuschauer ins Kino locke, muss ich die Kameras,
die Lichtkoffer und die Tontechnik verkaufen und anfangen Pfandflaschen
zu sammeln ...

Alles Gute Axel



Gast

Re: eigenen film verkaufen

Beitrag von Gast »

Krasse Story!
Gut geschrieben!
Ist das wahr?



PowerMac
Beiträge: 7494

Re: eigenen film verkaufen

Beitrag von PowerMac »

Wie immer sehr intim und ehrlich. Für wenig intelligente Menschen wie mich: könntest du den zeitlich Ablauf genauer skizzieren? Für mich ein wenig unverständlich, was wann genau war.

Manchmal bin ich neidisch auf deine Biographie. Dagegen bin ich nur ein Student aus intellektuellem und wohlhabenden Elternhaus, dem die Tore schon immer sehr weit geöffnet waren und der doch keinen Schlüssel für den Fall der Fälle hat.



Reimer Reimer
Beiträge: 120

Re: eigenen film verkaufen

Beitrag von Reimer Reimer »

Ein paar Zahlen? Gern!

1963 geboren in Hamburg
1969 an der Sonderschule vorbeigerutscht auf die Grundschule
1973 beim Beratungsgespräch raten die Lehrer davon ab, dass ich auf
das Gymnasium komme, meine Entwicklungsfähigkeit im Deutschen sei
derart eingeschränkt, dass ich niemals das Abitur schaffen könnte
1981 Dezember, ich ziehe mein Abitur um ein halbes Jahr vor, die Noten
sind exzellent, von wegen "Nicht bestehen können" ...
1982 bis 1984 Grundstudium Studium BWL und Jura (ohne rechte Lust)

1984 Abbruch des Studiums, um meinen ersten Roman zu
vollenden, "Buntschatten und Fledermäuse", habe mir gesagt, wenn es
schlecht läuft, kann es zehn Jahre dauern, bis ich die 400 Seiten
überarbeitet und veröffentlicht bekomme, (am Ende werden es 17 Jahre
sein ...)

1985 bis 1988 schreibe ich in Berlin an der zweiten Fassung des Textes,
im Verlaufe der vier Jahre schrumpft der Text; ich frage mich nämlich,
ob ich zu viel erzähle, und versuche alles in einem einzigen Kapitel
unterzubringen – habe großen Erfolg mit dem Vorhaben; dann frage ich
mich, ob ich nicht zu viel erzähle, und versuche alles auf einer einzigen
Seite zu erzählen – habe großen Erfolg mit dem Vorhaben; dann frage
ich mich, ob ich nicht immer noch zu viel erzähle, und versuche alles in
einem einzigen Satz zu bündeln – habe großen Erfolg damit und bin
rundum glücklich, (weiß aber auch, dass sich ein Satz von vier Worten
Länge schlecht als Roman veröffentlichen lässt)

1988 werde ich schwer krank, (wegen einer Kohlenstaubvergiftung in der
billigen Berliner Altbauwohnung); im September holt mich meine Familie
zurück nach Hamburg; ich erhole mich und arbeite regulär
angestellt in der familieneigenen Rätselredaktion, ich kümmere mich um
die EDV, entwerfe Rätsel und erfinde Witze, (was ich anfangs nicht kann,
weshalb mein Stundenlohn dafür bei deutlich unter einem Euro liegt,
später, nachdem ich das Erfinden von Witzen gelernt habe, liegt mein
Stundenlohn deutlich über einem Euro), ich spare mein Geld, um einmal
später ein, zwei Jahre am Stück schreiben zu können, (seit ich 21 bin,
verdiene ich meinen Lebensunterhalt selbst, meine Familie hat nie Ver-
ständnis für den Unfug mit dem Künstlersein gehabt)

1992 werfe ich mein minimalistisches Konzept über Bord und mache
mich daran eine neue Fassung meines autobiografischen Romans über
meine autistische Kindheit und Jugend vorzulegen; sie gefällt mir, doch
begreife ich, dass außer mir keiner sie verstehen wird

1993 bis 1997 vier Jahre brauche ich, bis ich mich traue die Geschichte
umzubauen, unzählige Übersichten und Entwürfe sammeln sich an

1997 im Juli beginne ich die Niederschrift der vierten Fassung; ich habe
Ersparnisse für knapp drei Jahre

1999 tauche ich in den Hamburger Literaturunderground ein und arbeite
den Roman mit anderen Nachwuchsautoren durch; im Sommer habe ich
Glück und freue mich über meine erste Veröffentlichung, auf dem
Oldenburger Filmfestival wird im Drehbuchcafé mein Drehbuch „Tag der
Jagd“ vorgestellt, ein paar Produzenten fordern es an, nichts geschieht;
die fünfte Fassung vom Buntmaus-Roman überzeugt mich und ein paar
Bekannte, aber leider niemand anderen, es gibt weder ein Stipendium
noch einen Literaturpreis; schlimmer noch, 30 Absagen bei Agenten und
Verlagen zeigen Wirkung; im November ist abzusehen, dass mir im
Frühjahr 2000 das Geld ausgehen wird; ich melde mich bei meinem
Bruder, der Steuerberater geworden ist, und bekomme für Sommer
2000 eine Lehrstelle als Steuerfachangestellter zugesagt

2000 in einem Schaffensrausch versuche ich die sechste Fassung des
Buntmaus-Romans zu vollenden, die Fassung, von der ich überzeugt bin,
dass sie es ist ... ich scheitere ... weil mir die Zeit wegläuft, weil mein
Geld fast alle ist; im Juni fange ich in der Kanzlei meines Bruders an zu
arbeiten, ich bin 37 Jahre alt und werde die nächsten zwei Jahre 1.000
Mark im Monat verdienen; mir wird bewusst, dass ich anderthalb
Jahrzehnte unter der Armutsgrenze gelebt habe ... meine Reserven sind
aufgezehrt, ich habe keine Rücklagen mehr bis auf ein Sparbuch, auf dem
sich etwas Geld befindet für eine Weltreise ... Australien, da will ich noch
mal hin; ich nehme mir vor, dass ich den Buntmaus-Roman vollenden
werde, ganz gleich, wie lange es dauert; aufgeben ist nicht vorgesehen;
halb vollendet landet die sechste Fassung in der Schublade, ein letztes
Mal reiche ich sie für einen Literaturpreis ein; mir ist klar, dass das
vielleicht noch 20 Jahre dauern kann ... oder dass alle Mühen vergebens
sein werden ... dass mein Autismus mir einfach verstellen wird, normal
zu schreiben ... nicht so komisch, wie die Agenten gemeint hatten ...

im September 2000 werde ich wieder „eingeschult“, in der
Berufsschule für Steuerfachangestellte in der Anckelmannstraße; bizarr
ist das Gefühl, als ich nach langer, langer Zeit wieder einmal Tafeldienst
verrichten muss; es ist aber auch schön; im Unterricht bin ich mit all den
Zahlen und Paragraphen recht glücklich, so etwas verstehe ich mit
meinem Rainmangedächtnis in Windeseile, ich gebe mich vielen
Tagträumen hin und kucke leidenschaftlich gerne zum Fenster hinaus;
ich beginne mir auszumalen, wie es wäre, wenn ein Kranich dort
vorbeiflöge ... ein roter Kranich, später wird diese Träumereigeschichte
mein zweiter Roman „Kraniche und Klopfer“.

Für die Herbstferien nehme ich mir vor, die sechste Fassung des
Buntmaus-Romans zu vollenden. Zwei Wochen habe Zeit, mit dem ersten
Wochenende sind es sogar 16 Tage. Das ist zu schaffen: 200 Seiten
muss ich überarbeiten, 100 Seiten neu schreiben. Meine Familie glaubt
nicht mehr daran, dass ich als Schriftsteller Erfolg haben werde. Zudem
sind sie schwer mitgenommen von meiner neuen Besessenheit: ich muss
nach Hollywood, um dort einen 60-Millionen-Dollar-Popcornfilm zu
drehen; ich rede am liebsten über nichts anderes, merke aber auch,
dass keiner versteht, warum ich das will, und mir auch keiner zutraut,
dass ich es schaffen kann. Meine Mutter meint zu meinem Bruder: „Jetzt
ist er völlig verrückt geworden.“ Ich widerspreche nicht, bin jedoch leicht
verletzt, weil meine Familie mich nicht Ernst nimmt. Ich weiß, ich bin 37
Jahre alt und nicht verheiratet, habe keine Kinder, keine Freundin, keine
Berufsausbildung, keinen Führerschein, keinen Fernseher, bin in der Zeit
von 1984 bis 1996 fast nie ins Kino gegangen, (weil mich all diese bunten
Geschichten mehr verwirrt haben, als dass ich sie verstanden hätte),
mache nie Urlaub, aber auf all diese berechtigten Einwände, die gegen
meine Laufbahn als Blockbuster-Regisseur sprechen, kann ich keine
Rücksicht nehmen: tut mir Leid, ich muss jetzt nach Hollywood, um einen
Popcornfilm zu drehen, (warum diese Besessenheit mich heimgesucht
hat, weiß ich nicht, sie ist einfach da); doch in den Herbstferien erlebe ich
eine grauenvolle Niederlage, ich hatte allen erzählt, dass ich den
Buntmaus-Roman vollenden werde; die letzten fünf Monate als
Steuerfachangestellter zeigen Wirkung, nach 16 Tagen liegt lediglich eine
neue Seite Text vor mir. Am Montagmorgen fragt mich mein Bruder, ob
der Roman endlich fertig sei. Ich muss verneinen, mein Bruder
stöhnt er auf. Seit 16 Jahren versuche ich dieses unmögliche
Projekt zu vollenden, seit 16 Jahren sieht er, dass ich scheitern werde. Er
schluckt kurz, dann lädt mich zum Trost ins Kino ein. Zwei Tage später
sehen wir uns den neuen „Shaft“ an. Ich verspreche ihm, dass ich das
Buntmaus-Manuskript weit weglegen werde. Das ist es gewesen, für lange,
lange Zeit.

Als ich abends nach Hause komme, findet sich auf meinem
Anrufbeantworter eine Nachricht: einer der mit je 6.000 Euro dotierten
Hamburger Förderpreise für Literatur wird mir verliehen. Zum ersten Mal
verdiene ich mit Literatur Geld ... Bei der Preisverleihung lerne ich die
Lektoren von Hoffmann und Campe kennen.

2001 im Februar unterzeichen ich meinen ersten Buchvertrag; meine
Familie besteht darauf, dass ich meine Lehre zu Ende mache. Mein
Kommentar „Auf eine abgebrochene Berufsausbildung mehr oder
weniger kommt es doch nicht an“ löst einen wüsten Proteststurm aus.
Überraschenderweise gebe ich nach und erfülle meiner Familie den
Wunsch.

2002 im Februar erscheint nach 17 Jahren „Buntschatten und
Fledermäuse“ und avanciert zu einem kleinen Bestseller; der Roman
trägt mich fort aus der Berufsschule für Steuerfachangestellte und ich
reise zu Lesungen und Talkshows; als mein Bruder sich im Juni mein
Abschlusszeugnis vorlegen lässt, staunt er nicht schlecht:

„Warum sind da so viele Fehlstunden? Im letzten Zeugnis hattest du
keine einzige.“ „Oh, da hat sich mein Klassenlehrer bestimmt vertan.“ So
richtig überzeugen kann ich meinen Bruder mit dieser Deutung nicht ...

2004 erscheint im September mein zweiter Roman, „Kraniche und
Klopfer“. Weihnachten begreife ich, dass ich nie einen Film drehen
werde, wenn ich darauf warte, dass irgendein Produzent sich bei mir
meldet. Silvester lege ich mein Sparbuch auf den Tisch und verabschiede
mich von meiner Weltreise. Die Schweiz ist auch schön.

2005 am 3. Januar meldet sich Andrea Asch, weil sie ihren Abschlussfilm
über mich drehen will; im Februar drehe ich an zehn Tagen den ersten
Teil meines Spielfilms; es ist die Geschichte einer Freundschaft, eine
Tänzerin hat eine Katastrophenbeziehung hinter sich und lernt eine
Autistin kennen, der man ihren Autismus nicht gleich anmerken kann, die
aber noch nie einen Freund oder eine Freundin gehabt hat, im Verlaufe
eines Jahres versuchen die beiden Frauen der Autistin das beizubringen,
wie man das macht: befreundet zu sein. Im April bin ich zurück in
Hamburg und drehe dort meinen ersten Kurzfilm, „Der Fotograf“. Andrea
und Eric Asch treiben in der Zwischenzeit immer mehr Geld auf. Im Juni
folgt in Hamburg der zweite Drehblock meines Spielfilms mit sieben
Tagen; mein Kameramann bettelt, dass er auch gerne auf einer Digibeta
drehen möchte, die würde viel schönere Bilder machen als die
JVC GY-DV 5000e ... Gleich nach dem Dreh muss ich alle Filmsachen weit
wegpacken, da mein dritter Roman vollendet werden will.

2006 im März erscheint sieben Jahre nach dem Filmfestival in Oldenburg
mein Roman Tag der Jagd; im Sommer wird er für den Burgdorfer
Krimipreis nominiert für den die besten fünf deutschsprachigen Romane
der letzten zwei Jahre ausgewählt werden; im ersten Halbjahr 2006
drehen wir intensiv für den „Roten Teppich“; da dieser Dokfilm viel, viel
Zeit beansprucht, muss ich meinen Spielfilm erneut beiseite legen;
zudem will ich den Großteil der Arbeiten am Sounddesign selbst
übernehmen, (was viel Spaß macht); vom Sommer an drängt sich dann
wieder die Literatur in den Vordergrund ...

2007 im Januar feiert „Der Rote Teppich“ auf dem Max-Ophüls-Festival
Premiere; bis Ende Mai versuchen Andrea und Eric Asch einen Verleih zu
finden, sie schaffen es nicht; Anfang Juni einigen wir uns darauf, dass ich
den „Roten Teppich“ bei meinem Kinostart mit an Bord nehme, erst im
Frühjahr kann ich meinen vierten Roman vollenden und mich wieder
mehr der Filmerei widmen; im August kaufe ich mir zwei Kameras, eine
Canon XH A1 und als Captureknecht die Canon HV20, und beschäftige
mich intensiv mit Licht. Zur Zeit überarbeite ich den Anfang meines
Spielfilmes noch einmal, da ich mir einen anderen Einstieg wünsche;
ich merke, dass gerade die Feinarbeiten extrem zeitaufwändig sein
können; gleichzeitig freue ich mich schon darauf, dass der Film im
Frühjahr 2008 Premiere feiern wird.

2008 es ist gut möglich, dass ich meine Erlebnisse als No-Budget-
Regisseur einmal zu Papier bringen werde, um sie als Buch zu
veröffentlichen, diverse Skizzen schlummern ja bereits in den einschlägig
bekannten Filmerforen.

Gleichzeitig plane ich bereits die Fortsetzung des Dokfilms, „Der Rote
Teppich II“ wird mich, wenn alles gut läuft, nach Amerika führen, es soll
eine Art Roadmovie werden, (kleines Problem am Rande: ich habe noch
keinen Führerschein)

Hoffe, dass das alles nicht unübersichtlicher geworden ist.

Bei Googlevideo kann man über meinen Namen die drei von Eric ge-
schnittenen Trailer aufspüren, sie schlummern da bereits.

Alles Gute Axel



Gast

Re: eigenen film verkaufen

Beitrag von Gast »

ja,
alles gute.
cj



PowerMac
Beiträge: 7494

Re: eigenen film verkaufen

Beitrag von PowerMac »

Danke. Ich möchte dir ein Buch empfehlen, "Regiebekenntnisse", herausgegeben von Thomas Schadt. Einige Regisseure haben ihr Leben aufgeschrieben, andere ihre Filme exemplarisch erklärt, manche goldenen Regeln formuliert, wieder andere erklären in Tiefeninterviews ihren künstlerischen Werdegang. Gerade das Versagen ist das spannende an allen Biographien. Und das Bewältigen von Krisen. Das Buch war für mich sehr bewegend und ich denke es wird dir auch so gehen (falls nicht schon geschehen). Es macht Mut und fasziniert.



Reimer Reimer
Beiträge: 120

Re: eigenen film verkaufen

Beitrag von Reimer Reimer »

Hallo Powermac,

ich habs auf meine Wunschliste gesetzt. Am meisten habe ich von den
mehr oder weniger ausführlichen Lebensberichten anderer Filmemacher
gelernt. Gerade die Zeit, bevor es losgeht, ist aufschlussreich.

Alles Gute Axel



Jörg
Beiträge: 10825

Re: eigenen film verkaufen

Beitrag von Jörg »

moin Axel,
das ist ein sehr berührender Beitrag, gleichzeitig der erste slashcam Beitrag den meine Frau gelesen hat. Sie liebt Deine Bücher.
Ich werde die Bücher mit in den Urlaub nehmen. Lange Polarnächte bieten genug Muße für diese Erzählungen.
Gruß Jörg



Gast

Re: eigenen film verkaufen

Beitrag von Gast »

@reimer reimer

boah.. danke das du dir so viel zeit genommen hast das alles aufzuschreiben...

das zeigt mir das es viele höhen und tiefen geben kann und das man nach gescheiterten Projekten nicht aufgeben darf sondern immer am ball bleiben sollte...
außerdem hast du es ins kino geschafft, dass ist doch schonmal ein großer erfolg... und du hast 3 !!! Bücher veröffentlicht du hast was beigetragen zu dieser Welt... großer Respekt von mir !



Vegas forever
Beiträge: 55

Re: eigenen film verkaufen

Beitrag von Vegas forever »

sorry ich bin der Gast war eben komischerweise nicht eingeloggt...



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