Ein paar Zahlen? Gern!
1963 geboren in Hamburg
1969 an der Sonderschule vorbeigerutscht auf die Grundschule
1973 beim Beratungsgespräch raten die Lehrer davon ab, dass ich auf
das Gymnasium komme, meine Entwicklungsfähigkeit im Deutschen sei
derart eingeschränkt, dass ich niemals das Abitur schaffen könnte
1981 Dezember, ich ziehe mein Abitur um ein halbes Jahr vor, die Noten
sind exzellent, von wegen "Nicht bestehen können" ...
1982 bis 1984 Grundstudium Studium BWL und Jura (ohne rechte Lust)
1984 Abbruch des Studiums, um meinen ersten Roman zu
vollenden, "Buntschatten und Fledermäuse", habe mir gesagt, wenn es
schlecht läuft, kann es zehn Jahre dauern, bis ich die 400 Seiten
überarbeitet und veröffentlicht bekomme, (am Ende werden es 17 Jahre
sein ...)
1985 bis 1988 schreibe ich in Berlin an der zweiten Fassung des Textes,
im Verlaufe der vier Jahre schrumpft der Text; ich frage mich nämlich,
ob ich zu viel erzähle, und versuche alles in einem einzigen Kapitel
unterzubringen – habe großen Erfolg mit dem Vorhaben; dann frage ich
mich, ob ich nicht zu viel erzähle, und versuche alles auf einer einzigen
Seite zu erzählen – habe großen Erfolg mit dem Vorhaben; dann frage
ich mich, ob ich nicht immer noch zu viel erzähle, und versuche alles in
einem einzigen Satz zu bündeln – habe großen Erfolg damit und bin
rundum glücklich, (weiß aber auch, dass sich ein Satz von vier Worten
Länge schlecht als Roman veröffentlichen lässt)
1988 werde ich schwer krank, (wegen einer Kohlenstaubvergiftung in der
billigen Berliner Altbauwohnung); im September holt mich meine Familie
zurück nach Hamburg; ich erhole mich und arbeite regulär
angestellt in der familieneigenen Rätselredaktion, ich kümmere mich um
die EDV, entwerfe Rätsel und erfinde Witze, (was ich anfangs nicht kann,
weshalb mein Stundenlohn dafür bei deutlich unter einem Euro liegt,
später, nachdem ich das Erfinden von Witzen gelernt habe, liegt mein
Stundenlohn deutlich über einem Euro), ich spare mein Geld, um einmal
später ein, zwei Jahre am Stück schreiben zu können, (seit ich 21 bin,
verdiene ich meinen Lebensunterhalt selbst, meine Familie hat nie Ver-
ständnis für den Unfug mit dem Künstlersein gehabt)
1992 werfe ich mein minimalistisches Konzept über Bord und mache
mich daran eine neue Fassung meines autobiografischen Romans über
meine autistische Kindheit und Jugend vorzulegen; sie gefällt mir, doch
begreife ich, dass außer mir keiner sie verstehen wird
1993 bis 1997 vier Jahre brauche ich, bis ich mich traue die Geschichte
umzubauen, unzählige Übersichten und Entwürfe sammeln sich an
1997 im Juli beginne ich die Niederschrift der vierten Fassung; ich habe
Ersparnisse für knapp drei Jahre
1999 tauche ich in den Hamburger Literaturunderground ein und arbeite
den Roman mit anderen Nachwuchsautoren durch; im Sommer habe ich
Glück und freue mich über meine erste Veröffentlichung, auf dem
Oldenburger Filmfestival wird im Drehbuchcafé mein Drehbuch „Tag der
Jagd“ vorgestellt, ein paar Produzenten fordern es an, nichts geschieht;
die fünfte Fassung vom Buntmaus-Roman überzeugt mich und ein paar
Bekannte, aber leider niemand anderen, es gibt weder ein Stipendium
noch einen Literaturpreis; schlimmer noch, 30 Absagen bei Agenten und
Verlagen zeigen Wirkung; im November ist abzusehen, dass mir im
Frühjahr 2000 das Geld ausgehen wird; ich melde mich bei meinem
Bruder, der Steuerberater geworden ist, und bekomme für Sommer
2000 eine Lehrstelle als Steuerfachangestellter zugesagt
2000 in einem Schaffensrausch versuche ich die sechste Fassung des
Buntmaus-Romans zu vollenden, die Fassung, von der ich überzeugt bin,
dass sie es ist ... ich scheitere ... weil mir die Zeit wegläuft, weil mein
Geld fast alle ist; im Juni fange ich in der Kanzlei meines Bruders an zu
arbeiten, ich bin 37 Jahre alt und werde die nächsten zwei Jahre 1.000
Mark im Monat verdienen; mir wird bewusst, dass ich anderthalb
Jahrzehnte unter der Armutsgrenze gelebt habe ... meine Reserven sind
aufgezehrt, ich habe keine Rücklagen mehr bis auf ein Sparbuch, auf dem
sich etwas Geld befindet für eine Weltreise ... Australien, da will ich noch
mal hin; ich nehme mir vor, dass ich den Buntmaus-Roman vollenden
werde, ganz gleich, wie lange es dauert; aufgeben ist nicht vorgesehen;
halb vollendet landet die sechste Fassung in der Schublade, ein letztes
Mal reiche ich sie für einen Literaturpreis ein; mir ist klar, dass das
vielleicht noch 20 Jahre dauern kann ... oder dass alle Mühen vergebens
sein werden ... dass mein Autismus mir einfach verstellen wird, normal
zu schreiben ... nicht so komisch, wie die Agenten gemeint hatten ...
im September 2000 werde ich wieder „eingeschult“, in der
Berufsschule für Steuerfachangestellte in der Anckelmannstraße; bizarr
ist das Gefühl, als ich nach langer, langer Zeit wieder einmal Tafeldienst
verrichten muss; es ist aber auch schön; im Unterricht bin ich mit all den
Zahlen und Paragraphen recht glücklich, so etwas verstehe ich mit
meinem Rainmangedächtnis in Windeseile, ich gebe mich vielen
Tagträumen hin und kucke leidenschaftlich gerne zum Fenster hinaus;
ich beginne mir auszumalen, wie es wäre, wenn ein Kranich dort
vorbeiflöge ... ein roter Kranich, später wird diese Träumereigeschichte
mein zweiter Roman „Kraniche und Klopfer“.
Für die Herbstferien nehme ich mir vor, die sechste Fassung des
Buntmaus-Romans zu vollenden. Zwei Wochen habe Zeit, mit dem ersten
Wochenende sind es sogar 16 Tage. Das ist zu schaffen: 200 Seiten
muss ich überarbeiten, 100 Seiten neu schreiben. Meine Familie glaubt
nicht mehr daran, dass ich als Schriftsteller Erfolg haben werde. Zudem
sind sie schwer mitgenommen von meiner neuen Besessenheit: ich muss
nach Hollywood, um dort einen 60-Millionen-Dollar-Popcornfilm zu
drehen; ich rede am liebsten über nichts anderes, merke aber auch,
dass keiner versteht, warum ich das will, und mir auch keiner zutraut,
dass ich es schaffen kann. Meine Mutter meint zu meinem Bruder: „Jetzt
ist er völlig verrückt geworden.“ Ich widerspreche nicht, bin jedoch leicht
verletzt, weil meine Familie mich nicht Ernst nimmt. Ich weiß, ich bin 37
Jahre alt und nicht verheiratet, habe keine Kinder, keine Freundin, keine
Berufsausbildung, keinen Führerschein, keinen Fernseher, bin in der Zeit
von 1984 bis 1996 fast nie ins Kino gegangen, (weil mich all diese bunten
Geschichten mehr verwirrt haben, als dass ich sie verstanden hätte),
mache nie Urlaub, aber auf all diese berechtigten Einwände, die gegen
meine Laufbahn als Blockbuster-Regisseur sprechen, kann ich keine
Rücksicht nehmen: tut mir Leid, ich muss jetzt nach Hollywood, um einen
Popcornfilm zu drehen, (warum diese Besessenheit mich heimgesucht
hat, weiß ich nicht, sie ist einfach da); doch in den Herbstferien erlebe ich
eine grauenvolle Niederlage, ich hatte allen erzählt, dass ich den
Buntmaus-Roman vollenden werde; die letzten fünf Monate als
Steuerfachangestellter zeigen Wirkung, nach 16 Tagen liegt lediglich eine
neue Seite Text vor mir. Am Montagmorgen fragt mich mein Bruder, ob
der Roman endlich fertig sei. Ich muss verneinen, mein Bruder
stöhnt er auf. Seit 16 Jahren versuche ich dieses unmögliche
Projekt zu vollenden, seit 16 Jahren sieht er, dass ich scheitern werde. Er
schluckt kurz, dann lädt mich zum Trost ins Kino ein. Zwei Tage später
sehen wir uns den neuen „Shaft“ an. Ich verspreche ihm, dass ich das
Buntmaus-Manuskript weit weglegen werde. Das ist es gewesen, für lange,
lange Zeit.
Als ich abends nach Hause komme, findet sich auf meinem
Anrufbeantworter eine Nachricht: einer der mit je 6.000 Euro dotierten
Hamburger Förderpreise für Literatur wird mir verliehen. Zum ersten Mal
verdiene ich mit Literatur Geld ... Bei der Preisverleihung lerne ich die
Lektoren von Hoffmann und Campe kennen.
2001 im Februar unterzeichen ich meinen ersten Buchvertrag; meine
Familie besteht darauf, dass ich meine Lehre zu Ende mache. Mein
Kommentar „Auf eine abgebrochene Berufsausbildung mehr oder
weniger kommt es doch nicht an“ löst einen wüsten Proteststurm aus.
Überraschenderweise gebe ich nach und erfülle meiner Familie den
Wunsch.
2002 im Februar erscheint nach 17 Jahren „Buntschatten und
Fledermäuse“ und avanciert zu einem kleinen Bestseller; der Roman
trägt mich fort aus der Berufsschule für Steuerfachangestellte und ich
reise zu Lesungen und Talkshows; als mein Bruder sich im Juni mein
Abschlusszeugnis vorlegen lässt, staunt er nicht schlecht:
„Warum sind da so viele Fehlstunden? Im letzten Zeugnis hattest du
keine einzige.“ „Oh, da hat sich mein Klassenlehrer bestimmt vertan.“ So
richtig überzeugen kann ich meinen Bruder mit dieser Deutung nicht ...
2004 erscheint im September mein zweiter Roman, „Kraniche und
Klopfer“. Weihnachten begreife ich, dass ich nie einen Film drehen
werde, wenn ich darauf warte, dass irgendein Produzent sich bei mir
meldet. Silvester lege ich mein Sparbuch auf den Tisch und verabschiede
mich von meiner Weltreise. Die Schweiz ist auch schön.
2005 am 3. Januar meldet sich Andrea Asch, weil sie ihren Abschlussfilm
über mich drehen will; im Februar drehe ich an zehn Tagen den ersten
Teil meines Spielfilms; es ist die Geschichte einer Freundschaft, eine
Tänzerin hat eine Katastrophenbeziehung hinter sich und lernt eine
Autistin kennen, der man ihren Autismus nicht gleich anmerken kann, die
aber noch nie einen Freund oder eine Freundin gehabt hat, im Verlaufe
eines Jahres versuchen die beiden Frauen der Autistin das beizubringen,
wie man das macht: befreundet zu sein. Im April bin ich zurück in
Hamburg und drehe dort meinen ersten Kurzfilm, „Der Fotograf“. Andrea
und Eric Asch treiben in der Zwischenzeit immer mehr Geld auf. Im Juni
folgt in Hamburg der zweite Drehblock meines Spielfilms mit sieben
Tagen; mein Kameramann bettelt, dass er auch gerne auf einer Digibeta
drehen möchte, die würde viel schönere Bilder machen als die
JVC GY-DV 5000e ... Gleich nach dem Dreh muss ich alle Filmsachen weit
wegpacken, da mein dritter Roman vollendet werden will.
2006 im März erscheint sieben Jahre nach dem Filmfestival in Oldenburg
mein Roman
Tag der Jagd; im Sommer wird er für den Burgdorfer
Krimipreis nominiert für den die besten fünf deutschsprachigen Romane
der letzten zwei Jahre ausgewählt werden; im ersten Halbjahr 2006
drehen wir intensiv für den „Roten Teppich“; da dieser Dokfilm viel, viel
Zeit beansprucht, muss ich meinen Spielfilm erneut beiseite legen;
zudem will ich den Großteil der Arbeiten am Sounddesign selbst
übernehmen, (was viel Spaß macht); vom Sommer an drängt sich dann
wieder die Literatur in den Vordergrund ...
2007 im Januar feiert „Der Rote Teppich“ auf dem Max-Ophüls-Festival
Premiere; bis Ende Mai versuchen Andrea und Eric Asch einen Verleih zu
finden, sie schaffen es nicht; Anfang Juni einigen wir uns darauf, dass ich
den „Roten Teppich“ bei meinem Kinostart mit an Bord nehme, erst im
Frühjahr kann ich meinen vierten Roman vollenden und mich wieder
mehr der Filmerei widmen; im August kaufe ich mir zwei Kameras, eine
Canon XH A1 und als Captureknecht die Canon HV20, und beschäftige
mich intensiv mit Licht. Zur Zeit überarbeite ich den Anfang meines
Spielfilmes noch einmal, da ich mir einen anderen Einstieg wünsche;
ich merke, dass gerade die Feinarbeiten extrem zeitaufwändig sein
können; gleichzeitig freue ich mich schon darauf, dass der Film im
Frühjahr 2008 Premiere feiern wird.
2008 es ist gut möglich, dass ich meine Erlebnisse als No-Budget-
Regisseur einmal zu Papier bringen werde, um sie als Buch zu
veröffentlichen, diverse Skizzen schlummern ja bereits in den einschlägig
bekannten Filmerforen.
Gleichzeitig plane ich bereits die Fortsetzung des Dokfilms, „Der Rote
Teppich II“ wird mich, wenn alles gut läuft, nach Amerika führen, es soll
eine Art Roadmovie werden, (kleines Problem am Rande: ich habe noch
keinen Führerschein)
Hoffe, dass das alles nicht unübersichtlicher geworden ist.
Bei Googlevideo kann man über meinen Namen die drei von Eric ge-
schnittenen Trailer aufspüren, sie schlummern da bereits.
Alles Gute Axel