AmateurFilmer hat geschrieben:... frage ich mich schon, ob da nicht ein wenig zu viel hineininterpretiert wird, nur weil der Film das Etikett "Kubrick" trägt...
Dass es sich um einen Japaner und einen Chinesen handeln soll, war mir neu. Wenn es stimmt, kann man sicher sein, dass Kubrick das nicht aus Gründen multikultureller Gesinnung gemacht hat, sondern um eine
weitere Ebene paranoider Spekulationen seinem Film hinzuzufügen. Die einen meinen nun, aus diesen Spuren riesige logische Gebäude errichten zu können, die anderen finden das müßig und Kubrick doof.
Kubrick, Nixon und der Mann im Mond ist der Titel einer Mockumentary, die teilweise (mit begeisterter Unterstützung der Witwe und des Schwagers von Kubrick) die berühmteste Verschwörungstheorie von der gefaketen Mondlandung "aufklärt" und ihr zugleich wieder neue Glut gibt. Das ungeschickteste Dementi ist das, bei dem man die Mühe und Sorgfalt des Dementierenden erkennt ;-)
AmateurFilmer hat geschrieben:Wer sich mal die Interpretationen von "The Shining" ansieht, fällt förmlich aus dem Stuhl, wenn da u.A. plötzlich die Anzahl von Buchstaben auf einem Schildchen am Bildrand mit der Apollo 11-Mission assoziiert werden. Wobei man beim Sehen dieser Videos schon zwischenzeitlich am Zufall zweifelt.
Zufall ist es nicht, es ist Irreführung. Shining handelt wie praktisch alle Kubrick-Filme von einem (Verzeihung für die Plattheit) undurchschaubaren System, dem der "Held" gegenübersteht. Wie bei der Geheimgesellschaft in EWS fragt man sich, was es bezweckt, denn die paranoide Geheimniskrämerei muss ja etwas Großes schützen.
Das ist die Frage. Die NSA mit ihren Schnüffelprogrammen schnüffeln überall, aber welches unglaublich hohe Gut wird eigentlich geschützt? Das System will durchschauen, aber warum und wozu?
Kubricks Sicht auf die Welt: Alle rationalen Systeme gedeihen auf der Irrationalität (ein Beispiel: Das System der Abschreckung aus Dr Strangelove).
AmateurFilmer hat geschrieben:In "Eyes Wide Shut" spielt, wie mir aufgefallen ist, der Zufall eine große Rolle.
Bill wird mitten auf der Straße von einer Prostituierten angesprochen. Ausgerechnet nach dem Gespräch mit seiner Frau. Anschließend wird er von einer Gruppe Pöbelnder angerempelt. Er versteht nicht, warum ausgerechnet er es sein musste. Schon wieder der Zufall. Aber Kubrick nutzt den Zufall nicht als billiges Mittel, um einen Wendepunkt im Verlauf der Geschichte einzubauen, sondern als dramaturgisches Mittel. Denn Bill scheint dadurch sehr verunsichert zu werden.
Wenn alle Triebfedern in diesem Uhrwerk mit S*x und Macht zu tun haben, und Bill (von dem Wunsch, zu verstehen, von dem Wunsch, ein erotisches Abenteuer zu erleben und von dem Wunsch, die erträumte Untreue seiner Frau zu rächen, getrieben) offenbar nichts verstehen
kann, ist seine Unsicherheit sicher grenzenlos. Ziegler (der Eingeweihte der Macht, der Strippenzieher im Hintergrund) "erklärt" ihm an dem roten Billardtisch "alles", aber es klingt nur auf einer sehr idiotischen Ebene schlüssig. Wahrscheinlich ähnlich, als würde uns ein NSA-Chef PRISM erklären (Sicherheit vor terroristischen Anschlägen, aber ja. Und bestimmt auch vor der Fluoridation des Wassers!).
AmateurFilmer hat geschrieben:Die kritisierte Nacktheit empfinde ich persönlich eher als Authentizitäts-Steigerung. Man ist kein Zuschauer, dem Dinge vorenthalten werden.
Die weit geschlossenen Augen. Wir sind so konditioniert, das Verhüllte, das eigentlich Vorenthaltene, nicht zu sehen. Die nackten Körper bedeuten nichts. Die
Masken schon.
Es gibt eine Menge Zeichen in EWS. Kubrick setzte sie ü-ber-haupt nicht zufällig. Nur ist das Problem von komplexen Systemen, dass sie sich verselbständigen und wir uns ihrer Bedeutung manchmal zu sicher wähnen, aber es schon aus einem Grund nicht sein können: Sie haben mit uns nichts zu tun. Ob jemand Arzt ist, erfolgreich und glücklich verheiratet in New York - ist diese (Schnitzler-Zitat)
Wirklichkeit eines ganzen Lebens zugleich auch seine innere Wahrheit?
Anscheinend nicht. Die, äh,
Wahrheit über einen phantasierten Seitensprung weht diese ganze Gewissheit weg. All die teuren New Yorker Lofts, die Smokings, die tausenden Weihnachtsbäume: Irreführung.
Von vielen anderen entfremdenden Systemen abgesehen ist sicherlich die unheilige Verquickung von S*x und Macht zugleich das Schlimmste und das scheinbar Unvermeidlichste. Dieser Frage sollte sich jeder stellen. Was bedeutet S*x für mich? So, wie es in EWS vielleicht noch ein Happy End geben kann, können auch wir uns erlösen und endlich die Augen öffnen.