SPOILERn:
Überall dieser Tage und auch im Film mehrmals werden wir mit dem Zitat Oppenheimers traktiert, er habe bei dem Trinity-Test an einen Vers aus der Bhagavad Gita denken müssen:
Bisschen Kontext gefällig?
Wie im Film angerissen, hatte Oppenheimer die Bhagavad Gita (unten stehende Zitate aus diesem PDF kopiert & eingefügt) im Original in Sanskrit gelesen. Er war überhaupt ein multilinguales Genie, litt aber nach einer fahrigen frühen Diagnose an Dementia Praecox (Schizophrenie). Diese äußerte sich darin, dass er die materielle Welt tatsächlich als "Wellen und Teilchen" sah, mit an kosmische Entfernungen erinnernden Abständen zwischen den Atomen. Wer einen solchen Text nicht nur liest, sondern sich sogar Jahrzehnte später an dessen Inhalt erinnert, dem unterstelle ich außerdem eine starke spirituelle Ader.
Worum geht es eigentlich in diesem "heiligen" Hindu-Text? Der mythische Prinz, von dem die Rede ist, ist Arjuna. Das ist ein Halbgott, dessen Lebensgeschichte so völlig überdreht ist wie der indische Film RRR. Unter anderem gibt er sich, um einem Fluch zu entgehen, 13 Jahre lang als Eunuch aus und lebt als Transvestit. Suspension of disbelief? Davon braucht man Schiffsladungen bei diesen wuchernden Stories mit allerlei Fabelwesen, Himmelsfürzen, abgeschlagenen Köpfen und Blumenwiesen!
Volker Pispers sagte mal in einem Kabarettauftritt, es sei so einfach, sich über Religion lustig zu machen. Auf die Selbstmordattentäter warten zig Jungfrauen im Himmel? Das ist lustig. Woran glauben Sie denn so? Knabbern Sie sonntags am Leib Christi?
Wie dem auch sei, der fragliche Text ist ein Dialog zwischen Krishna und Arjuna. Krishna ist ein Avatar Vishnus. Vishnu ist ein, beziehungsweise der höchste Schöpfergott. Ein Avatar ist nicht ein Online-Alter-Ego oder ein Spitzname wie "Axel" aus dem slashCAM-Forum, es ist eine Inkarnation (würden die Römisch-Katholischen sagen). Für die Normal-Sterblichen ist es eine nicht durchschaute Re-Inkarnation, erzwungen durch die Logik des Karma (nicht die verdiente Rache des Schicksals an einem Arschloch, wie wir das Wort umgangssprachlich verwenden). Vishnu nimmt also die Gestalt Krishnas an, des Gottes der Liebe. Und er erscheint Arjuna, der gerade eine existenzielle Entscheidung treffen muss. In der großen Schlacht, die er als großer Kämpfer und Feldherr gegen seine Feinde führen soll, entdeckt er im gegnerischen Heer Verwandte und alte Freunde. Er mag nicht mehr. Wozu soll das alles gut sein?, fragt er sich. Ein indischer Vorläufer Hamlets.
Die Verse, die dies darlegen, sind ganz gewiss das Vorbild für den sogenannten "Platonischen Dialog", in dem ein Problem (meist halt ein philosophisches) durch ein fiktives Argumentieren zwischen zwei Figuren erörtert wird. Hier also antwortet Krishna, dass man als Gerechter in dieser Welt handeln muss, denn Nicht-Handeln bedeutet, die Welt den Bösen (sprich: den Verblendeten, den an Macht und Reichtum Verhafteten) zu überlassen. Es gibt nichts Gutes, außer man tut es. Do the right thing.
Aber Arjuna als brave dialektische Figur argumentiert weiter. Er will deren Blut nicht an seinen Händen haben. Krishna, als vielfach sich selbst neu Erschaffener, ist mit allen Wassern gewaschen. Krieg? Blutvergießen? Been there, done this. Er sagt:Lust und Leid, Gewinn und Verlust,
Sieg und Niederlage laß dir einerlei geworden sein. Dann bereite dich zum Kampf.
So wirst du keine Schuld auf dich laden.
Arjuna, immer noch die kleingläubige Heulsuse, der vor der morgigen Schlacht der Arsch auf Grundeis geht, möchte wissen, wie sich Krishna selbst beschreibt. Der spart nicht an Selbstlob, u.a.:So wie ein Feuer, ist es einmal entfacht, das Feuerholz zu Asche verbrennt, Arjuna, so verbrennt das Feuer der Erkenntnis alles Karma zu Asche.
Arjuna drängt:Ich bin der Tod, der alle hinrafft,
und der Ursprung dessen, was sein wird.
Unter den weiblichen Wörtern bin ich:
Ehre, Schönheit und Rede,
Gedächtniskraft, Weisheit, Beständigkeit und Geduld.
Ooooo-kay! Bereit?Genau so,wie du über dich selbst
gesprochen hast, o höchster Herr,
verlangt es mich, deine Herrlichkeits-Gestalt zu schauen, o höchster göttlicher Geist!
Wenn du meinst, daß sie von mir geschaut werden kann, o Herr,
Meister des Yoga,
so laß mich dein ewiges Selbst schauen.
Langsam kapiert der Junge. Also bekräftigt Krishna:Sollte am Himmel der Glanz von tausend Sonnen gleichzeitig aufgehen,
so würde diese Strahlung
der Helligkeit dieses Großen Selbst gleichen.
(...)
Ich sehe dich überall: eine unendliche Gestalt,
mit zahllosen Armen, Bäuchen, Mündern, Augen;
kein Ende, keine Mitte, und auch keinen Anfang von dir erblicke ich, o Herr, du All-Gestalt! Ich schaue dich mit Krone, Keule, Diskus -
eine Masse von Glanz, nach allen Seiten strahlend,
in jeder Hinsicht kaum anzuschauen,
ein unermeßliches Gleißen von leuchtendem Sonnenfeuer.
Wie du den Himmel berührst, flammend in vielen Farben, mit aufgerissenem Rachen und lodernden, weiten Augen - bei deinem Anblick zittert mein innerstes Wesen!
Ich finde keinen Halt und keine Ruhe, o Vishnu!
Beim Anblick deiner Mäuler mit den schrecklichen Zähnen, die den Feuern der Endzeit-Vernichtung gleichen,
weiß ich keinen Weg mehr und finde nirgends Schutz -
sei gnädig, Herr der Götter, Zufluchtsort der Welt!
So wie Insekten immer schneller
in die offene Flamme ihrem Untergang entgegenfliegen, genauso rasen alle Welten immer schneller
zur Vernichtung in deine Rachen.
Du leckst, verschlingend von allen Seiten,
alle Welten mit flammenden Mäulern zusammen.
Du erfüllst das ganze Universum mit deinen Hitzewellen, deine gewaltigen Strahlungen verglühen es, o Vishnu.
Sage mir, wer bist du, schreckliche Gestalt? Verehrung sei dir! O bester Gott, sei gnädig!
Ich möchte dich erkennen, der du vom Ursprung her bist, denn ich kann deine Erscheinung nicht fassen!
C.G. Jung beschrieb einmal den Ausbruch von Schizophrenie als Absturz in ein zu großes Bild, etwa der nächtliche Sternenhimmel, den man nicht fassen kann. Wie muss es einem ergehen, der von Jugend an die stoffliche Welt als überwiegend von immaterieller Ernergie durchflossen wahrnimmt (und dem die Umwelt nicht wirklich glaubt, siehe Film) und der einen solchen Text liest? Ist nicht Trinity (die Dreifaltigkeit, die drei Manifestationen Gottes im Christentum, Namensvorschlag von Oppenheimer) der vielarmige Vishnu? Und rechtfertigt sich Oppenheimer nicht nachträglich (vielleicht auch unbewusst) als Arjuna, den Zauderer, der die Welt vor dem noch Böseren rettet?Ich bin die herangereifte Zeit,
die Ursache der Weltvernichtung.
So erscheine ich hier, um die Welten zu zerstören.
Auch ohne dich werden all diese Kämpfer, die sich hier in Schlachtordnungen gegenüberstehen, nicht mehr sein.
Deshalb erhebe dich, erwirb dir Ruhm!
Hast du deine Feinde besiegt, so genieße glückliche Herrschaft!
Von mir sind diese hier bereits erschlagen worden;
du sei nur mein Werkzeug, linkshändiger Bogenschütze!
Es war bloß leider nicht Krishna, dessen Werkzeug er war, sondern diese unsäglichen Intriganten.
Der Film wirkt bei mir auch nach, indem er mich über die Instrumentalisierung der Wissenschaft nachdenken lässt. Nützliche Idioten für Menschen mit Machtphantasien. Gilt auch für A.I. Wer kriegt diesen Geist (wenn es mal einer wird, bisher sind alles [cantsin] "Plapperroboter") wieder in die Flasche? Antwort: man kriegt ihn nicht dahin zurück. Und die wunderbarste Erkenntnis wird immer zuerst zerstörerisch verwirklicht.