Abenteuerliche Thesen mal wieder über die "Bildgestaltung in der Post"...
Im Prinzip hat iasi ja gar nicht unrecht mit dem was er schreibt. Aber so wie er das immer durchexerziert löst sich alles, was daran Sinn macht wieder ins Gegenteil auf. Egal was da ausm Lehrbuch stimmt wird in der Praxis 1000-fach erfolgreich von den Größten in der Branche anders gemacht als iasi schreibt. Unerwünschtes Mischlicht heißt dann Farbkontrast (wo er in der Ausstattung her keinen Sinn macht weil nicht bei gleicher Lichtfarbtemperatur umsetzbar - oder lackiert jemand Straßenpflaster vorm Wet-Down noch schnell passend farbig, um das ohne Mischlicht trotzdem andersfarbig aussehen zu lassen?). Niemand, der es sich leisten kann einen Coloristen zu engagieren, dessen einziger Job es ist Footage auf diverseste Arten zu optimieren (weswegen die das auch meist besser können als Kameraleute, deren Hauptaufgabe sagen wir mal ist eine Geschichte in Bilder zu übersetzen und einen Look zu definieren) belichtet Footage so sehr ETTR, dass die nicht auch im Prinzip wie am Set gesehen nutzbar ist. Diese ETTR-Fantasien stimmen technisch und werden auch in Grenzen (dunklerer Preview-LUT für Regie/Kunden) so durchgezogen, aber da geht's weitestgehend dann doch um 1 Blende mehr oder weniger und werden wie iasi das schildert quasi nur von Leuten umgesetzt, die alles in der Post selbst lösen, die äußerste Kontrolle über ein Projekt haben. Das ist für viele in der Praxis eine völlig Illusion.
Erstere sind üblicherweise wiederum nicht die Profis. Ansonsten hätte sich der "Alles-selbst-machende"-Filmemacher qualitativ wie letztendlich ökonomisch durchgesetzt. Aber im Gegenteil, es gibt kaum einen Bereich der Kreativindustrie (CG/VFX vielleicht?) der so durchspezialisiert ist wie die Filmbranche und der qualitative Zugewinn für das Gesamtprojekt ist auch mit moderatem ETTR (und ohne die Zeit des Coloristen mit erst mal alles 2-3 Blenden runterbringen zu verschwenden) allein durch die Auslagerung des Gradings an Spezialisten gegeben.
Stimmt alles in der Theroie. Der ETTR Ansatz macht aber in der Praxis (unabhängig von weiteren Workflowüberlegungen) auch nur eingeschränkt Sinn, nämlich nur wenn die Diskrepanz zwischen Skintones und Highlights nicht zu groß wird - ergo man eh alles kontrollieren kann. Also entweder gibt es keine unkontrollierbaren Highlights, oder aber das generelle Lichtlevel der Szene kann so gesteigert werden, dass sich die Diskrepanz zwischen Skintones und Highlights erübrigt. Üblicherweise haben aber Szenen mit hohem Motivkontrast genau da das Problem: Zu große Diskrepanz zwischen Haut und Highlights. Es wird irgendwann nicht mehr möglich Skintones ETTR-mäßig zu belichten, wenn nicht direkt die Highlights geopfert werden. Wenn die Highlights aber drinbleiben sollen, wird aus dem ganzen ETTR plötzlich ein "Skintones sitzen eh in der Mitte". Das ist auch der Grund, wieso ETTR in Dynamiküberlegungen nichts verloren haben sollte, da zählt letztendlich einfach nur, ob der Motivkontrast innerhalb des möglichen Maximalkontrasts des aufzeichenenden Systems liegt. Und dann wird auf einmal spannend: Wie sehr rauschen die eigentlich eine halbe Blende unterbelichteten Skintones bei kompletter Durchzeichnung der Highlights? Da interessiert wenig, ob sie theoretisch bei 2 Blenden mehr Licht am Sensor weniger rauschen würden, denn dann wären die Highlights weg.
iasi hat geschrieben: ↑Fr 11 Aug, 2023 14:46
Das ist dann auch der generelle Unterschied zu Film - und auch Video.
Worüber sprichst Du dann? Weder digitale noch analoge Bilder?
iasi hat geschrieben: ↑Fr 11 Aug, 2023 12:26
Es ist bei einer 16stops-Aufnahme nun einmal nicht so, dass im Histogram die Schatten links, die Lichter rechts und die Mitten in der Mitte liegen, wo sie hin gehören, sodass man alles nur zusammenschieben muss, damit es als Ergebnis passt.
Eine Person in der Sonne vor einem dunklen Wald - mal als Beispiel. Willst du Zeichnung im Wald, wird die Person reichlich belichtet und in der Post korrigiert - mit einer LUT geht das nicht - mit 10bit bekommt man schnell Probleme.
Das meine ich quasi mit meinem Beispiel oben. Du verstehst ja wirklich worum es geht, aber ziehst die falschen Schlüsse: Dein Beispiel einer hellen Person vor dunklem Wald birgt keinerlei Dynamik-Probleme, das ist quasi der Idealfall. Du hast keine Highlights, die nicht Skintones wären und hilfts gleichzeitig durch ausreichende Belichtung der Schatterdurchzeichnung im Wald. Aber du belichtest ja trotzdem nicht auf den Wald? Denn in dem Szenario schafft das jede halbwegs gute Kamera Skintones einfach dort abzubilden wo sie halbwegs natürlich liegen und trotzdem Durchzeichnung bis in die tiefen Schatten zu haben, das ist ja nicht die Kunst.
Die Realität und wo die Probleme meist auftauchen sieht aber genau andersrum aus: Wenn ich eine Person im Closeup mit inadäquater Beleuchtung im Wald stehen habe, ist trotzdem der Himmel oder Sonnenstrahlen (an der Quelle unkontrollierbar) durch die Bäume das Hellste im Bild. Da hilft ETTR keinen Deut. Selbst mehr Licht auf der Person ist im Normafall ohne viel Erfahrung schwierig zu realisieren, ohne extrem geleuchtet auszusehen, wenn der Mittelgrund rundherum recht dunkel bleibt. Das ist dann eine Situation, in der Dynamik zählt: Mit wie viel Rauschen muss ich in eigentlich bildrelevanten Teilen leben, wenn ich das trotzdem relativ Naturalistisch belichte, d.h. die Highlights vor Clipping, die Skintones weg vom Sweet-Spot sondern adäquat für schattigen Wald und die Schatten fallen dann wo sie fallen. Das ist Dynamik, da zeigt sich wirklich welche Kameras das können. Der von dir gezeigte Fall ist eigentlich der Belichtungs- und bilgestaltungs Best Case, das taugt nicht als Argument für ETTR.
Und der am Ende beschrieben Fall zeigt eigentlich auch, wie sinnlos eine pauschalisiert eingeplante Belichtungsanpassung in der Post ist: Schafft die Kameradynamik das dargestellte Beispiel, werde ich da in der Post an der Belichtung wenig ändern wollen. Rauschen die Skintones nicht, funktionieren die im Wald auch in den tieferen Mitten denn dort erwartet niemand High-Key-Skintones. Evtl. reduziert man dann trotzdem die Diskrepanz zwischen Skintones und Highlights etwas und bringt die Highlights runter. Aber in dieser Situation erwartet niemand die (in der Praxis nie so umgesetzte) Mär vom Gesicht als hellster Stelle im Bild - wenn der Himmel durch die Bäume schaut. Und statt die Skintones hochzuziehen, bietet sich oft an das nur bei den helleren Bereichen etwas zu machen, was allein und für sich das oft alleinige Problem dieser Situationen (zu wenig Kontrast dann in den Mitten-Tiefmitten) schmälert und gleichzeitig kaum zu mehr Rauschen führt, weil man eigentlich nur die Hochmitten etwas pusht und das ist noch kein Bereich, wo Kameras rauschen.