ruessel hat geschrieben: ↑Do 30 Jan, 2020 08:35
Ich Frage mich, hat Industrie 4.0 auch Auswirkungen auf den kleinen Buden für Messe/Imagefilm?
So schnell mich gefragt, ja, ganz erhebliche.
Einige Beobachtungen aus Sicht einer Agentur, die sehr viel mit Kollegen aus der Branche spricht.
Derzeit ist viel Bewegung bei den Agenturen:
Schnelllebigkeit
Man sucht nach dem "heiligen Gral", nach Konzepten und Geschäftsmodellen, die für die nächsten Jahre geschäftlich tragfähig sind. Denn, es wird ungemütlicher, die Zeiten langfristiger Verträge und somit gesicherter Billingvolumen scheinen der Vergangenheit anzugehören. Die Kunden wechseln heutzutage ganz schnell, auch wenn sie zufrieden sind. Weil viele Kunden derzeit "mal was neues probieren wollen." Obwohl sie mit dem aktuellen Dienstleister zufrieden sind.
Das wiederum führt bei vielen Agenturen nicht unbedingt zu Planungssicherheit hinsichtlich Personal und zukünftige Tätigkeitsfelder. Viele - auch große - Agenturen werden derzeit (teil)verkauft, umstrukturiert, etc. Da die Frage "Wo geht es künftig hin?" kaum beantwortet werden kann, ist man bei Neuanstellungen und deren Gehaltsstruktur mehr als unsicher.
Social Media
Werbung (in jeglicher Form, dazu zähle ich auch Imagefilme, Event-Dokumentationen, etc., bzw. Print in Hochglanzmagazinen) rückt immer mehr vom Print und aus den Kinos ab, es geht immer deutlicher um Präsenz im Internet. Und da spielen SM-Kanäle - neben Kontextads, etc. - eine entscheidende Rolle. Reichweite und Zielgruppe sind hier die Zauberworte.
Somit entscheiden SM-konforme Inhalte (Film, Bilder, Grafiken, Texte) unmittelbar über Erfolg oder Mißerfolg von Kampagnen oder Einzelmaßnahmen.
Die Auswirkungen auf Filmer und Fotografen wiegen relativ schwer, denn deren Arbeit wird immer marginaler. Entscheidend ist nun der Mix aus deren Arbeit mit der Mediaplanung (Wo, Wann, Wie und an Wen wird ausgeliefert) und anschließende Erfolgskontrolle. Dadurch gewinnen SEOs, SMOs und sonstige Analytiker und Optimierer an Einfluss.
Dazu kommt die nüchterne Erkenntnis (millionenfach belegt), dass die mobile Mediennutzung bei weitem überwiegt. Mit entsprechenden Konsequenzen auf Qualitätsansprüche bei Filmern und Fotografen: "Auf kleine Displays spielt die letzte optische Qualität (4K oder mehr, 40MP und mehr Kameras) nicht mehr die letzte Rolle." - so oder so ähnlich reden immer mehr Agentur-MA.
Also - denkt man sich - wozu der ganze Mist mit Arri/RED, etc., wenn NIEMAND auf Smartphone-Displays überhaupt die Unterschiede sieht (und DAS ist belegt: Man sieht es nicht und dazu kommt noch, dass es niemanden aus der Zielgruppe interessiert). Siehe dazu den Punkt Schnelllebigkeit.
Das hat natürlich Auswirkungen auf die Preisgestaltung im Umgang mit externen Film- und Foto-Dienstleistern. Auf einmal muss es nicht mehr unbedingt RAW sein, 8bit tun es auch. Auf jeden Fall, kratzt man jetzt vielerorts an bestehende Tarife - massiv.
Darüber hinaus, experimentiert man derzeit sehr gern mit Volontären, Praktikanten, etc. in Sachen "Machen wir selbst."
Das sind aktuelle Fragen: Nimmt man einen externen Dienstleister für Film und Foto, oder stellen wir MA ein, die das dann machen? Beides bedeutet für Agenturen Vor- und nachteile. Aber das gilt auch für den Bereich SE0, SEM, Media-Planning.
Bei großen Kampagnen mit bedeutenden Billingvolumen * (ca. ab 1Mio EUR) fallen - nüchtern betrachtet - die Kosten für externe F+F (Film + Foto) in 95% der Fälle kaum ins Gewicht. Man ist trotzdem oftmals der Meinung, InHouse-Quick-and-Dirty wäre besser. Wäre angeblich schneller, flexibler, etc.
Die Ernüchterung kommt dann in Sachen Kosten für halbwegs wirksame Lichtsetzung und Ton. Trotzdem gibt es auch hierbei Agenturen, die den Müll ausliefern und damit sogar Erfolge feiern: Weil die Inhalte (aus Sicht der Zielgruppe) witzig, überraschend, oder sonst wie ansprechend sind. DAS bestärkt sie umso mehr, genau so weiterzumachen. Es geht dann so, bis es eine blutige Nase gibt und dann wird - wie in Deutschland üblich - händeringend nach der Schuld der Anderen gesucht.
Dann wird doch die ARRI-Bude angerufen und man hat sich (vorerst) wieder lieb. Dass vielleicht Idee und Umsetzung ausschlaggebend für den Mißerfolg waren, DAS will man gar nicht wissen.
Was ich damit sagen will: Es ist komplex geworden, sehr komplex. Und sehr unsicher. Natürlich gibt es - wie seit Jahrzehnten - Agenturen und Dienstleister, die komplett anders sind und entsprechend agieren. Buden, die ganz genau wissen, dass Unsicherheit, das einzig Sichere ist. Und sich darauf einstellen, indem sie Abläufe anpassen. Und permanent bereit und in der Lage sind, alte Zöpfe radikal abzuschneiden, lieb gewonnene Gewohnheiten sofort abzulegen und unbekanntes Terrain zu betreten.
* Bitte berücksichtigen, dass Billing- und Honorarvolumen erheblich differieren können