nachtaktiv hat geschrieben: angesichts der ernüchternden erlebnisse, die ich schon in solchen läden zuhauf hatte, kann ich da nur lachen ....
Es steht ja immerhin ein persönliches Schicksal dahinter. Ich kenne diesen Laden nicht und kann nicht beurteilen, ob er gut beraten hat und insofern von Kunden als Beratungsstelle "missbraucht" wurde. Wenn die Erzählungen vom Feilschen um die letzten 5 Euro so zutreffen, also wenn Kunden tatsächlich das empfohlene Produkt kaufen wollten und nur den "Beratungszuschlag" sparen wollten, würde ich ihm sogar ein kleines bisschen Recht geben. Daher möchte ich über diesen speziellen Einzelfall nicht urteilen.
Aber ganz generell kann ich aufgrund eigener Erfahrungen das Gejammere der kleinen Händler über die Internet-Konkurenz bzw. das Jammern mancher Kunden über das Sterben der "tollen kleinen Läden" nicht teilen. Ich habe so einen tollen kleinen Laden mit guter Beratung nie gefunden, und ich war schon in sehr vielen an verschiedenen Orten. Meine Erfahrungen mit Fachgeschäften im Foto- und Videobereich - egal ob groß oder klein - ist zum ganz überwiegenden Teil negativ. Der Kauf in Fachgeschäften hat heute viel mehr Nachteile als Vorteile. Die meisten Menschen brauchen solche Läden einfach nicht mehr. Vor Ort im Fachgeschäft zu kaufen und höhere Preise in Kauf nehmen, um deren antiquiertes Geschäftsmodell zu unterstützen? Fällt mir doch im Traum nicht ein.
Dass manche Kunden von der Beratung so begeistert sind, kann ich mir nur durch fehlenden Vergleich erklären: Wer sich von einem freundlichen Verkäufer Kamera X andrehen lässt und damit zufrieden ist, führt das womöglich - irrtümlich - auf die Beratung zurück. Genauso hätte er würfeln können, welche Kamera er nehmen soll; so richtig schlecht sind die ja alle nicht.
Man hat selbst in großen Läden keine annähernd komplette Auswahl; das ist gar nicht die Schuld der Inhaber, sondern liegt im Prinzip, denn dafür ist der Markt einfach zu breit gefächert und die Gerätschaften sind zu teuer im Einkauf. Wer also wirklich das optimale Gerät finden will, muss so oder so ins Internet schauen, was es gibt.
Für einen anderen Punkt können die Inhaber aber schon: Wenn man wirklich selber keine Ahnung hat und tatsächlich von Grund auf beraten werden will, dann sind 95 % der Verkäufer überfordert und beraten am wahren Bedarf vorbei (jeder von uns hat doch schon "Beratungen" erlebt oder zufällig mitangehört, über die man nur kopfschütteln konnte). Aber oft wird man in Fachgeschäften sogar gegen seinen eigenen Willen "beraten", sei es aus Gründen der Gewinnmaximierung oder aus purer Wichtigtuerei. Wenn dann Kunden nach einem solchen Erlebnis den Laden frustriert verlassen, muss man sich nicht wundern. Die Ladenbesitzer deuten das aber als "Der hat sich von mir beraten lassen, und jetzt kauft er billig im Internet." Das ist bestenfalls Selbstüberschätzung von Geschäftsleuten, die die Zeichen der Zeit nicht erkannt haben und jetzt nicht wahrhaben wollen, dass ihr Geschäftsmodell nicht mehr greift.
Für einen so hochspezialisierten Bereich wie die Foto- und Videobranche ist das Internet ein ganz großer Segen: Man hat gewissermaßen den Weltmarkt vor der Nase, findet mit etwas Mühe alle nur erdenklichen Informationen und kann dann alles zu guten Preisen kaufen. Dank Rückgaberecht ist es auch keine Katastrophe, wenn man mal was Falsches erwischt. (Übrigens bin ich auch sehr dafür, dass demnächst das Zurückschicken von Produkten wegen Nichtgefallen wieder portopflichtig wird. Das ist wesentlich fairer.)
Ich kaufe z. B. Lebensmittel oder Kleidung immer noch gern vor Ort, weil es da sinnvoll ist (schneller und spontaner Zugriff, Beurteilung der Frische, Anprobieren). Aber der Vor-Ort-Kauf von Foto- und Videokameras und Zubehör - genau wie vieler anderer sehr spezieller Artikel - ist für anspruchsvolle Kunden heutzutage Unfug; das ist nur noch was für Leute, die bloß irgendeine Kamera brauchen und gar keine speziellen Wünsche haben - aber die können ihre Kamera genauso gut im Supermarkt kaufen.
Auch das Reparatur-Argument zieht schon lange nicht mehr. Kameras werden heute zu wenigen, spezialisierten Fachwerkstätten geschickt, und dazu brauche ich keinen Zwischenhändler vor Ort.
Als es noch kein Internet gab, hatte man ja gar keine andere Wahl, als im Fachgschäft zu kaufen. Das war für Leute, die wussten, was sie wollen, eine einzige Quälerei. Wenn man etwas kaufen wollte, das der Händler nicht vorrätig hatte, musste man es in den großen Händlerkatalogen suchen und dann bestellen lassen. Wenn es kam und doch nicht optimal geeignet war, hatte man zumindest die moralische Pflicht, den "eigens bestellten" Artikel abzunehmen, den der Händler sonst womöglich niemand anders andrehen konnte (und wenn doch, war das für den anderen Kunden wieder so ein Fall von aufgezwungener Beratung).
Ja, es gab auch immer die "Idioten-Kunden", die tatsächlich mit allem Hilfe brauchten, also z. B. Leute, die mit der Kamera und vollfotografiertem Film zum Händler kamen, damit der Händler den einen Film zum Entwickeln schickt und gleich einen frischen einlegt. "Das ist mir etwas zu kompliziert, mit der Technik. Nicht dass ich noch was kaputtmache." Ich weiß nicht, wieviele solche Kunden es heute noch gibt; die digitale Fotografie birgt für Computer-unerfahrene Mitmenschen ja auch einige Tücken, und ich habe schon ziemlich hilflose ältere Mitbürger vor den Fotoprint-Automaten stehen sehen, so dass eine Angestellte zu Hilfe eilen musste. Aber das sind ganz bestimmt nicht die Kunden, die dann irgendwas um fünf Euro billiger im Internet kaufen. Und ob es von diesen Kunden noch genügend gibt, um Läden am Laufen zu halten? Ich bezweifle es.
Das Haupt-Übel hinter der ganzen Problematik ist doch die Mischkalkulation: Ein Händler will "beraten" und auch dafür bezahlt werden. Statt das offen zu sagen und z. B. eine Beratungspauschale zu verlangen (wäre interessant, wieviele Leute sich dann dafür entscheiden würden), legt er seine Arbeitszeit auf den Warenpreis um - und wundert sich dann, dass Leute woanders billiger kaufen. Die Beratungsleistung ist ja gar nicht als Mehrpreis sichtbar, und die Beratung wird unabhängig und ohne Kaufzwang angeboten. Das funktioniert nur, wenn der Kunde keinen Vergleich hat.
Das Internet hat den Markt transparenter gemacht. Auch Bankberater (die ja in Wahrheit Verkäufer sind, nicht Berater), Versicherungsvertreter (ein im Grunde völlig überflüssiger Berufsstand) und natürlich Autohändler (wo es um sehr große Geldbeträge geht und die Kunden zum Glück vorsichtiger geworden sind) bekommen das heute zu spüren.