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Kommentare schön sprechen - nur wie?
Verfasst: Sa 11 Nov, 2006 15:08
von transsib
Hallo!
Ich war dienstlich auf einer China-Reise und habe dort gefilmt. Nun möchte ich den Film gerne mit von mir gesprochenen Kommentaren versehen, finde aber (nicht nur ich) dass das bei mir immer so "abgelesen" und "undynamisch" klingt.
Wie üben das denn professionelle Sprecher? Sind das alles Naturtalente? Wie sieht ein professionelles "Sprechbuch" aus? Steht da einfach nur der zu sprechende Text drin oder gibt es darin auch Hinweise zur gewünschten Artikulation und Betonung? Bei Sprechern wie Rolf Schult klingt das so locker, natürlich, kühl und trotzdem fesselnd. Gibt es dazu Infos im Netz? Über Google bin ich nicht so richtig fündig geworden. Alles was ich fand, dreht sich um die technische Lösung einer Nachvertonung.
Ich bedanke mich schon jetzt für Eure Antworten!
Gruß, Oliver
Re: Kommentare schön sprechen - nur wie?
Verfasst: Sa 11 Nov, 2006 16:09
von Markus
transsib hat geschrieben:Wie üben das denn professionelle Sprecher? Sind das alles Naturtalente?
Hallo Oliver,
teils teils. Veranlagung gehört natürlich auch dazu, aber auch jahrelanges Training und regelmäßiges Üben.
Re: Kommentare schön sprechen - nur wie?
Verfasst: Sa 11 Nov, 2006 16:47
von Axel
transsib hat geschrieben: Bei Sprechern wie Rolf Schult klingt das so locker, natürlich, kühl und trotzdem fesselnd.
Im Gegensatz also zu verkrampft, unnatürlich, aufgeregt und trotzdem einschläfernd. Nehmen wir deine Stimme, die einen vorformulierten Text abliest. Was stört dich an ihr? Nur sehr wenige Menschen mögen die eigene Stimme vom Band. Dialekte und Akzente sind natürlich meistens irritierend, also solltest du kritisch hinhören und auch kleine mundartliche Abweichungen erkennen und versuchen auszumerzen. Als nächstes kommt die Glaubwürdigkeit. Du referierst nicht oft vor Publikum? Dann könnte ein sehr elaborierter Sprachstil, der sich gut stumm liest, von dir vorgelesen, leicht gestelzt und unglaubwürdig klingen. Das liegt aber mehr am Text als an dir. Verkürze die Sätze, vereinfache die Formulierungen.
Wie bei Rolf Schult ist es bei Christian Brückner (Synchronstimme von Robert de Niro) neben seiner charakteristischen - und keineswegs "perfekten"! - Heiserkeit vor allem der lakonische Grundton, über dem auch kleinste Stilmittel (pausieren, den Ton heben, Raunen, ein leichtes amüsiertes Glucksen) eine dramatische Wirkung entfalten. Unaufdringlich und glaubwürdig. (Lies diesen Abschnitt mal laut, er kann unmöglich gut vorgetragen werden.)
Es sollte also nicht Ziel sein, einem perfekten Vorbild nachzueifern, sondern eher, die Stärken der eigenen Stimme zu finden und zu trainieren, ohne ihre Einzigartigkeit zu verleugnen. Und Texte zu schreiben, die einfach, direkt und offen sind. Denn nur ein sehr guter Schauspieler kann mit seiner Stimme "lügen".
Im Interesse der Ehrlichkeit: Meine Stimme gefällt mir auch nur bedingt. Seit ich mich häufiger als Kommentator höre, erkenne ich, was für ein aufgeblasener Aufschneider ich bin. Es ist nicht zu ändern. Mit ein bißchen Selbstironie kommt diese pompöse Art aber ganz gut an. Glaubwürdiger, als versuchte ich kramphaft, locker zu sein (Paradoxon bemerkt?).
Außerdem ist meine Stimme etwas zu hell. Pitchen kommt nicht in Frage. Aber ich filtere die nächstgelegenen Frequenzen aus dem Hintergrundaudio, was zur Folge hat, daß die Mischung ausgewogener klingt. Auch kann ich mir dadurch das Absenken des Pegels sparen. Der ist für mich vergleichbar mit einer giftgrünen Bauchbinde.
Re: Kommentare schön sprechen - nur wie?
Verfasst: Sa 11 Nov, 2006 21:37
von Peyotl
entspannung ist wichtig. der sprecher muss sich im eigenen mittelpunkt befinden und den text leben. dann noch die stimme schön weit "unten" ansetzen und schon kannst du los- üben...
Re: Kommentare schön sprechen - nur wie?
Verfasst: Sa 11 Nov, 2006 22:18
von PowerMac
Ich spreche selbst öfters Beiträge und habe eine Arbeit über Moderationscoaching (ein Novum in Deutschland da absolute Forschungslücke; wenn sie jemand lesen möchte, kann ich sie zur Verfügung stellen) geschrieben. Mein Sprechen klappt ganz gut und profitiert von Übung. Ich probe täglich anhand von Online-Nachrichten, eigenen Offtexten und mit den Standardwerken. Mit der Übung kommt Souveränität. Man sollte jeden Wachtel und die Standardliteratur zweimal gelesen, verstanden und verinnerlicht haben (Stefan Wachtel: Schreiben fürs Hören; Stefan Wachtel: Sprechen und Moderieren in Hörfunk und Fernsehen; Klaus Pawlowski: Grundlagen der Hörfunkmoderation, Martin Ordloff: Fernsehjournalismus). Gute Sprecher haben gute Anlagen, also einen sonoren, angenehmen Klang, haben keine negativ habituell gefärbte Stimme (kein Dialekt oder angelernte Klangmuster), artikulieren gut (Primavista-Spreche; Hochlautung, gute Aussprache), haben gute Deutschkenntnisse, können gut Sprechdenken und Hörverstehen und -vor allem- sind gute Journalisten. Was will man sagen? Was möchte man mitteilen? Will man die Präsentation von Informationen verbessern, muss man erst grundlegende journalistische Voraussetzungen schaffen. Der Text ist die Grundlage. Ein Moderator muss wissen, was er überhaupt sagen will. Man braucht ein Thema und Informationen, eine relevante Kernaussage und muss dies in einem Moderationstext oder Offtext rhetorisch, unterhaltsam und stringent für den Zuschauer umsetzen. Dazu braucht man Präsenz ("authentisches Meinen") und Kongruenz. Man muss meinen, was man sagt. Wen spreche ich an? Wie drücke ich mich richtig und einfach aus? Man ist immer in einer Rolle, mit der man sich identifizieren muss. Schließlich sitze ich alleine in einem Studio und spreche keine Menschen direkt an. Die Addressaten muss man sich vorstellen und Wirkungen beim Zuschauer manipulieren/erzeugen.
Bei diesem Thema ist es ganz anders als überall anders. Es gibt keine einfache Technik. Einfache Tipps bringen gar nichts; Sprechen und Moderieren sind psychologische Probleme (innere Haltung, Bereitschaft, Intention) und natürlich auch Übungssache. Das größte Problem ist man immer selbst. Man muss sich einlesen, Üben und an seiner Persönlichkeit arbeiten; die Bereitschaft zum Sprechen schaffen. "Sprechen zu müssen", das funktioniert nicht, weil Motivation und Präsenz fehlen. Man muss erst Feedbackfähigkeit erlernen und Feedback annehmen können. Ein Coaching kann sich auch anbieten. Reine Sprecherziehung geht an der Sache - der erfolgreichen journalistischen Vermittlung von Informationen vorbei. Es mit mehr Rhetorik und journalistische Leistung, als nur "Technik".
Re: Kommentare schön sprechen - nur wie?
Verfasst: Sa 11 Nov, 2006 22:21
von PowerMad
Wow - was n Vortrag meines beinahe-Namensvetters! Geil!
Re: Kommentare schön sprechen - nur wie?
Verfasst: Sa 11 Nov, 2006 22:59
von Axel
PowerMac hat geschrieben: Man muss meinen, was man sagt.
Diesen Vortrag kann man kaum noch ergänzen. Nur verdeutlichen: Ein Sprecher, der einen selbstverfassten Text abliest, von dessen Richtigkeit er überzeugt ist, kann dennoch unglaubwürdig rüberkommen. Wenn er nämlich nicht die Persönlichkeit entwickelt hat, das Thema in dieser Form zu präsentieren. Es gibt sächselnde Moderatoren mit Nasaltrauma (Heinz Sielmann) oder verbitterte Nuschler (Peter Scholl-Latour), die wirklich keine schöne Stimme haben, aber spürbar hinter dem Thema stehen. Die "Wahrheit" des Gesagten wird durch die Authentizität der Stimme
autor-isiert. Angemaßte Autorität spürt noch der doofste Hörer.
Bezogen auf die Frage des Threadstarters: Den Ton finden, der sowohl zum Film als auch zum Filmemacher passt. Finden durch ausprobieren. In dieser Welt ist Platz für den quakenden Frosch und den brüllenden Löwen. Nur sich keiner Selbsttäuschung hingeben.
Re: Kommentare schön sprechen - nur wie?
Verfasst: So 12 Nov, 2006 02:01
von transsib
Hallo!
Vielen Dank für Eure enorm umfangreichen Antworten!
Dann fasse ich mal zusammen:
- immer an die "Botschaft" denken, die man mit dem Kommentar vermitteln möchte
- sich in den zu kommentieren Film hinein versetzen
- sich in das potentielle Publikum hinein versetzen
- kurze, einfache Sätze bilden
- Satzbau wie im "normalen Leben"
- locker bleiben
- selbstkritisch auf grobe Schnitzer in der Aussprache achten
- dennoch natürlich bleiben
- üben
- üben
- üben
Nochmals vielen Dank!
Gruß,
Oliver