durch 3sat Neues geisterte letztens ein Bericht, der alle Anzeichen von typischem Snake Oil aufweist: Eine rührende Hintergrundstory, ein schon fast Gibsonesker Fundus (;russisch-ukrainische Experten, Technik aus der militärischen Bilderkennung), die üblichen Verdächtigen haben auch schon ihr Interesse bekundet. Es geht um einen Video-Kompressionalgorithmus, der angeblich 20 mal effektiver als MPEG4 sein (;pardon - *werden*) soll, basierend auf Objekterkennung und Vektorspeicherung. Man tut so, als wäre das alles vollkommen neu und der Rest der Welt bisher jahrelang zu blöd gewesen, darauf zu kommen (;was bekanntlich nicht stimmt). Kurz gesagt hat man das verdammt naheliegende Gefühl, die zweite Auflage der fraktalen Kompression von Bildern mitzuerleben, diesmal für Video.
Versteht mich nicht falsch, ich würde mich dämlich freuen, wenn ein (;Ex-)Ossi und ein paar Ex-Sowjets die ganze MPEG LA zum Betteln schicken würden, indem sie wirklich einen derart leistungsfähigen Codec auf die Menschheit loslassen. Allein fehlt mir, geschädigt durch cold fusion und die schon erwähnte fraktale Kompression, die auch irrsinnig gut funktioniert, solange man den Studentenalgorithmus kaschieren kann, der Wille zu glauben.
Weiß jemand mehr? -- The S anta C laus O peration or "how to turn a complete illusion into a neverending money source"
-> Andre "ABPSoft" Beck ABP-RIPE Dresden, Germany, Spacetime <-
Antwort von Heiko Nocon:
Andre Beck wrote:
>Weiß jemand mehr?
Ich weiß soviel: Wenn die wirklich was geschaffen haben, was auch nur annähernd die Versprechungen einlösen kann, dann werden wir ganz sicher bald in seriösen Quellen was davon hören oder lesen.
> die ganze MPEG LA zum Betteln > schicken würden
Nunja, das dürfte völlig Wurscht sein. Man löhnt dann halt bloß an wen anders. Das ist wohl der Fluch von Standards im Kapitalismus, wer die Hand drauf hält, der hält auch die Hand auf.
Antwort von Michael Stum:
Andre Beck schrieb: > Es geht um einen Video-Kompressionalgorithmus, > der angeblich 20 mal effektiver als MPEG4 sein (;pardon - *werden*) soll, > basierend auf Objekterkennung und Vektorspeicherung.
Erinnert mich an Facelet-Kompression. (;c't Leser werden sich an den dazugehörigen Aprilscherz erinnern ;-))
Antwort von Thomas Beyer:
Andre Beck schrieb...
> Versteht mich nicht falsch, ich würde mich dämlich freuen, wenn ein > (;Ex-)Ossi und ein paar Ex-Sowjets die ganze MPEG LA zum Betteln > schicken würden, indem sie wirklich einen derart leistungsfähigen > Codec auf die Menschheit loslassen. Allein fehlt mir, geschädigt > durch cold fusion und die schon erwähnte fraktale Kompression, die > auch irrsinnig gut funktioniert, solange man den Studentenalgorithmus > kaschieren kann, der Wille zu glauben.
1.Variante: Es verschwindet in den Schubladen von TI (;die ja als Riskikokapitalgeber im Geschäft sind). Dann passiert wohl exemplarisch dasselbe wie damals mit den LZX-Kompressionsalgorithmen von Jonathan Forbes: talentierter Student geht an die Öffentlichkeit, wird von Microsoft eingekauft und verplichtet sich, den ursprünglichen Algorithmus nur noch - unter anderer Bezeichnung - in Produkten der Firma einzusetzen.
2.Variante: Das Intershop-Syndrom (;Ich kann den Namen immer noch nicht leiden. Intershop ist für jeden Ostgermanen Synonym für Läden, in denen arrogante Verkäuferinnen zu überhöhten Preisen gegen D-Mark/Forumschecks Zeugs verkauften, dass die DDR ihren Leuten nicht gegen Inlandsgeld bieten konnten. Welcher Jungjuppi kommt auf die Idee, einen solch negativbesetzten Namen für seine Firma zu verwenden?). Geld abschöpfen und ansonsten die Blase möglichst galant platzen lassen.
> Weiß jemand mehr?
Es kommt wie so oft im Leben nicht auf wirkliche Innovation an, sondern auf die richtige Vermarktung. Und ehrlich gesagt: Wenn man ausstudiert hat / nicht von Steuergeldern bezahlter Uni-Mitarbeiter ist und demzufolge marktwirtschaftlich profitabel für seinen Lebensunterhalt aufzukommen hat, haben sich sowohl die Ideale von Open Source/Freeware als auch der Glaube an die Durchsetzungskraft des Besseren SEHR schnell verflüchtigt.
So wie es derzeit aussieht, ergibt sich eine gute Mixtur aus Variante 1 2.
MfG, Thomas
Antwort von Andre Beck:
Michael Stum writes: > Andre Beck schrieb: >> Es geht um einen Video-Kompressionalgorithmus, >> der angeblich 20 mal effektiver als MPEG4 sein (;pardon - *werden*) soll, >> basierend auf Objekterkennung und Vektorspeicherung. > > Erinnert mich an Facelet-Kompression. (;c't Leser werden sich an den > dazugehörigen Aprilscherz erinnern ;-))
Die c't-Aprilscherze haben die fatale Tendenz, ein paar Jahre später nicht mehr als solche erkennbar zu sein, weil sie - um einen Spruch aus Blue Thunder Zeiten zu recyclen - nicht mehr Science Fiction sondern Science Fact sind. Im Prinzip war das, was die c't da noch bescherzte, zu diesem Zeitpunkt bereits Fact - MPEG4 beherrscht in einer vollständigen Implementation genau das, die Übertragung des Videos als Layers mehrerer Objekte und dessen finales Compositing im Player. Fiction war nur das Vorhandensein einer konkreten Imple- mentation - denn die gibt es für komplettes MPEG4 (;also die ganze dreischichtige Architektur, nicht nur die unterste Schicht) AFAIK bis heute nicht.
Darauf wollte ich unter anderem hinaus: Objektlayer in der Videokompression sind keine neue Idee. Auch die Verwendung von fortgeschrittener Bildverarbeitung und neuronalen Netze bei diesen Vorgängen ist nichts Neues - ich kann mich erinnern, vor ziemlich genau zehn Jahren angeregte Diskussionen dazu während und nach der Arbeit (;an Software für einen Neuro-DSP) geführt zu haben. Was bisher aber fehlt, ist ein wirklich zum Ende geführtes Stück Software, das die erhoffte Leistung *selbstständig* erbringt, also ohne dass jemand ihm ein paar Tips gegeben hat. Daran krankte ja bereits die fraktale Kompression: An sich eine prächtige Idee, aber das optimale Set an Funktionen war ums Verrecken nicht auto- matisiert zu finden. Damals entstand der Begriff "Studentenalgo- rithmus": Man sperre einen Studenten mit einer Workstation und den betreffenden Bildern in einen Raum und lasse ihn erst wieder raus, wenn er die Parameter gefunden hat, bei denen der Algorithmus dann seine "verblüffende" Effizienz entfaltet. Ich glaube die Story mit dem Werbespot durchaus, aber ich frage mich, wie der Encoder darauf angelernt wurde. Und ich kann ein Deja vu nicht verdrängen.
Naja, lassen wir uns überraschen. Oder auch nicht.
-- The S anta C laus O peration or "how to turn a complete illusion into a neverending money source"
-> Andre "ABPSoft" Beck ABP-RIPE Dresden, Germany, Spacetime <-