In der Timeline zu sichten ist etwas, das ich Premiere-Nutzer hab machen sehen. Sie schmeißen alles in eine höhergelegene *Spur* und klauen daraus für ihre, äh, primary storyline. Oder sie richten eine parallele Timeline ein ("pancake-editing"). Warum tun sie sowas? Sie wollen kontinuierliche Wiedergabe und barrierefreien Zugriff auf alle Clips.
Resolve hat ja seit 16 Beta die Cut-Page mit der "Source-Tape" - Anzeige. Mit diesem Button werden alle gerade im Browser aktiven Clips im Viewer-Fenster als
ein zusammenhängender Clip betrachtet, aus dem man für die Timeline auswählen kann. Aus deiner Herangehensweise schließe ich, dass du den Vorteil erkennst.
FCP hat ja etwas Ähnliches: "Kontinuierliche Wiedergabe":
Das heißt, mit dieser Checkbox tut FCP so, als seien die individuellen Clipgrenzen nur Kapitelmarker. Es spielt den gesamten Browserinhalt "chronologisch" ab.
Und mit "chronologisch" kann ich gleich den gewaltigen Vorteil erklären, den FCP noch immer hat. Die Clips, die im Browser zu sehen sind, lassen sich intelligent filtern, nicht
nur mit Tags, aber am besten mit intelligenten Sammlungen. Schnelligkeit
und Sorgfalt (auszuschließen, dass du eine eventuell bessere Alternative übersiehst) sind am besten gegeben, wenn du beim Schnitt nie mehr als höchstens 20 Clips im Browser hast!
Die Beschäftigung mit etwas so buchhalterisch anmutendem wie Schlagwörtern und Sammlungen erscheint modernen ADS-Editoren (die FCPX normalerweise gut finden) als eine Zumutung. In Wirklichkeit ist es die am wenigsten Zeit und Aufwand erfordernde Arbeit beim Schneiden. Wenn der gesamte Schnitt, sagen wir mal, 10 Stunden dauert, ist das unter einer halben Stunde. Umgekehrt: derselbe Schnitt
ohne die Vorbereitung ist eher 30 Stunden, und wahrscheinlich im Ergebnis schlechter.
Auch Resolve hat Smart Bins, aber sie zwingen einen dazu, wieder in die Edit Page zu gehen. BlackMagic bessert ständig nach, und Smart Bins über die Cut Page stehen weit oben in den Benutzer-Wunschlisten.
Die Cut-Page ist im Sinne des Erfinders eine Vorbereitungsphase für den Feinschnitt (Edit-Page). Sichten, beurteilen, Grobschnitt. Oder eine Alternative für Eilige.
Historisch gesehen sollte FCPX genau dasselbe sein: eine Art Prelude (wenn dir das noch was sagt) für FCP8 (das dann nie erschien). Oder, wie Michael Cioni es sagte: eine Database mit angehängtem NLE, eine MAM-App plus iMovie.
Trimmen und Löschen in der Timeline ist natürlich *möglich*, aber suboptimal. Die primäre Handlung wächst besser inkrementell als dass sie gekappt wird. Du wirst ja aufgefordert, eine logische Reihenfolge (storyline) herzustellen. Diese Bemühung wird erleichtert - durch den Magetismus der Primary und durch die
child-Rolle der verbundenen Clips.
Ich hoffe, dieses Schauen über den Tellerrand erleichtert dir die Entscheidung für deinen Workflow. "Ausschuss entfernen" ist mMn in der Tat "verbesserungswürdig". Merke, dass auch Premiere und Resolve nicht "die Schlechten in's Kröpfchen" schmeißen, sondern lediglich, um im Märchenbeispiel zu bleiben, das Töpfchen auskippen, wohl wissend, dass sie auf dem Fußboden alles besser überblicken können. Trotzdem klauben sie nur die Guten auf und tun sie zurück in's Töpfchen. Da die Schlechten i.d.R. überwiegen, ist das Ausschütten und Liegenlassen effektiver.