patfish hat geschrieben: ↑Sa 24 Feb, 2024 02:53
Irgendwann wird aber fast alles in der Cloud gemacht und berechnet werden und so überall auf der Welt auf jeder Mini AR-Brille mit virtuellem Studio Interface oder eben Tablet bearbeite werden können.
Ich höre das in letzter immer öfter, und es scheint mir da einen Trend in Richtung digitaler Askese und Puritanismus in einer Retro-Hippie/Reform Bewegung des 21ten Jahrhunderts zu geben.
Ich finde das psychologisch hochinteressant, und frage mich wie es dazu kommt.
Offensichtlich gibt es eine starkes Bedürfnis nach einer Zeit die weniger herausfordernd, überkomplex und schnell war. Zurück zu einfachen und überschaubaren Dingen, die einen nicht belasten.
Die Tiny House und Van-Life Bewegung ist ein gutes Beispiel dafür.
Insta und Co. sind voll von Leuten, die sich nichts sehnlicher wünschen als irgendwo jenseits der Zivilisation, weit weg von Städten und Menschen auf ein paar Quadratmetern zu leben und zu arbeiten.
Da bekommt der Traum von winzigen Geräten, mit denen man aber alles machen kann wofür es sonst eine Workstation braucht natürlich entsprechende Bedeutung. Und das nicht nur, weil die 2 Solarzellen auf dem VW Bus gerade so reichen um das Tablet aufzuladen und abends ein bisschen Licht zu haben.
Ein Blick in die Geschichte zeigt, daß es sich um ein zyklisches Phänomen handelt.
Schon vor über 100 Jahren konnte man Artikel lesen, welche die atemberaubende Geschwindigkeit der Zeit beklagen, die Entfremdung der Menschen - vor allem in den Großstädten - die Schnelllebigkeit, die überwältigende Technikentwicklung etc.
Und schon damals gab es eine Retrobewegung, die - als Teil der Hygiene, und Reform-Bewegung - das "Zurück zur Natur", Entschleunigung und das zurück zu einem langsameren Leben und einer einfacheren Zeit als Ideal postulierte.
Die Bündische Jugend, oder die unter den Wandervögeln entstandene Bewegung - hauptsächlich von Schülern und Studenten gut bürgerlicher Herkunft - die in einer Phase fortschreitender Industrialisierung der Städte und angeregt durch Ideale der Romantik sich von den engen Vorgaben des schulischen und gesellschaftlichen Umfelds lösen wollten, um in freier Natur eine eigene Lebensart zu entwickeln, die auch für Reformpädagogik, Freikörperkultur und Lebensreformbewegung im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts ausschlaggebend war.
Mit im selben Reform-Spirituellen Umfeld war z.B. auch Rudolf Steiner, welcher mit der Theosophischen- und der Anthroposophischen Gesellschaft, gleich zwei Sehnsüchte bediente.
Ende der 60er Jahre wurde all das von der Hippie Bewegung wieder aufgegriffen, und neu interpretiert.
Und heute sind wir wieder am selben Punkt.
Die Zyklen kommen also ungefähr alle 50-60 Jahre aufs Neue daher, was quasi perfekt mit den Wellentheorien von Kondratjew und Schumpeter korreliert, bei denen es innerhalb von 50-60 Jahren immer die 4 Stufen, Wohlstands-Wachstum - Rezession - Depression und Aufschwung gibt, wobei letzterer dann wieder zu Wohlstands-Wachstum führt, und das ganze von vorne beginnt.
Schumpeter stellte heraus, dass die Basis für diese Langen Wellen grundlegende technische Innovationen seien, die zu einer Umwälzung in der Produktion und Organisation führen. Er prägte für diese den Begriff der Basisinnovationen. Für ihn war hierbei nicht die Entdeckung einer Basisinnovation ausschlaggebend, sondern deren breiter Einsatz.
Vereinfacht kann man das auch auf das allseits bekannte Axiom runter brechen:
Schlechte Zeiten bringen starke Männer - starke Männer machen gute Zeiten - gute Zeiten bringen schwache Männer - schwache Männer machen schlechte Zeiten.
Aktuell befinden wir uns zwischen der Rezession und der Depression, und wieder sehen wir diese Retro Bewegungen auftauchen. Und wieder bestehen diese aus den selben Elementen.
Cocooning - Rückzug von der Gesellschaft.
Askese und Puritanismus - als Bewältigungsstrategie gegen Kontrollverlustängste.
Natur und Hygiene als Heilsversprechen.
Der Wunsch nach einem Zurück zu einfacheren Zeiten, wo alles - vermeintlich - beherrschbarer, weniger überwältigend und weniger kompliziert war.
Die Suche nach einer Ersatzreligion, da die alte Religion nicht mehr als Framework funktioniert.
Sehnsucht nach Romantik in einer technisierten Welt.
Und vor allem die Überzeugung, daß Reform die Lösung für alle Probleme ist, die sich dann in Sätzen, die mit den Worten "Irgendwann wird sicherlich..." beginnen äußert.