Jott hat geschrieben: ↑Sa 03 Mär, 2018 07:41
Muss man wirklich hinschreiben: Achtung, Wortspiel?
:-)
Natürlich weiß ich auch das bei dem Gesetzesentwurf mit Gaffer die abwertende Bedeutung von Schaulustigen meint.
Aber nach meinem Empfinden ist der Begriff nicht nur wegen der Mehrdeutigkeit falsch gewählt. Denn eigentlich meint man man private Handyfilmer die Rettungskräfte behindern. Und nicht Ersthelfer die zuerst schauen wo ihre Hilfe am dringendsten benötigt wird oder um beim Notruf schon wichtige Angaben machen zu können. Und man meint auch nicht Schaulustige die z. B. den Rosenmontagszug in Köln anschauen. Also Schaulustige bei einer Veranstaltung wie einem Fussballspiel oder einem Umzug oder Leute die Rettungskräfte behindern oder Leute die Aufnahmen von Toten machen sollte man mit unterschiedlichen Begriffen bezeichnen. Und Personen wie Gutachter, Polizisten, Pathologen, Fotojournalisten, TV-Kameraleute usw., die beruflich Aufnahmen von Unfällen oder Toten machen müssen, hätte man auch genau nennen müssen um Missverständnisse zu vermeiden.
https://www.bundesrat.de/SharedDocs/dru ... onFile&v=1
"Gesetzentwurf des Bundesrates
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches
(StGB) - Effektive Bekämpfung von sogenannten „Gaffern“ sowie
Verbesserung des Schutzes des Persönlichkeitsrechts von Ver-
storbenen
Problem und Ziel
Mit zunehmendem technischem Fortschritt kommt es immer häufiger dazu, dass
Schaulustige bei Unfällen oder Unglücksfällen Bildaufnahmen oder Videoaufnah-
men fertigen und diese über soziale Netzwerke verbreiten. Auch werden Bildauf-
nahmen an Zeitungen oder Fernsehanstalten weitergegeben. Dies stellt eine erhebli-
che Missachtung des Persönlichkeitsrechts der Opfer dar. Der strafrechtliche Schutz
gegen solche Praktiken ist bisher lückenhaft. Der kürzlich durch das Neunundvier-
zigste Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches mit Wirkung vom
27. Januar 2015 neu gefasste § 201a StGB schützt lediglich lebende Personen.
Es gilt daher, den strafrechtlichen Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ge-
gen die Herstellung und Verbreitung bloßstellender Bildaufnahmen von verstorbe-
nen Personen zu verbessern."
Wenn ich es richtig verstanden habe soll also durch diesen Entwurf folgendes gelten:
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Mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer
...
3. von einer verstorbenen Person eine Bildaufnahme, die diese zur
Schau stellt, unbefugt herstellt oder überträgt,
(4) Der Versuch ist strafbar
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In der Tagesschau werden regelmäßig Aufnahmen von Kriegen, Unfällen und Kathastropfen gezeigt in denen zumindest als Beiwerk auch Tote vorkommen können und zumindest verpixelt auch immer wieder gezeigt werden. Sind solche Aufnahmen nach dem neuen Gesetz nun wegen des möglichen Versuches, auch tote oder noch lebende Opfer auf den Aufnahmen haben zu können, generell auch für professionelle Kameraleute verboten?
Denn die Einverständiserklärung, solche Aufnahmen zu machen, kann man sich ja nicht mehr von einem Toten einholen. Und selbst wenn später im geschnittenen Beitrag keine Toten mehr zu sehen sind bzw. gar nicht erst aufgenommen wurden, sind ja nach dem Gesetzesentwurf bereits die Aufnahmen oder sogar der Versuch, solche Aufnahmen machen zu können, strafbar.
Und wenn ein Gerichtsmediziner Aufnahmen von einem Toten für einen Gerichtsprozess macht, muss er dann auch eine Bestrafung fürchten?
"Als die Rote Armee auf das Lager vorrückt, geht es Brasse nur noch darum, seine Fotos für die Nachwelt zu sichern. "Brasse, der Iwan kommt" brüllt Walter vom Motorrad aus. Er soll die Bilder verbrennen. Brasse zündet die Fotografien mit den unzähligen Gesichtern und Geschichten an.
Als der Chef fort ist, löscht er sie. Nur an den Ecken sind sie angekokelt. Er verriegelt das Studio. Er denkt: "Diese Dokumente, die bleiben." Sein Tun soll einen Sinn haben. 38.000 seiner Bilder überleben für die Nachwelt. Als Auschwitz am 27. Januar 1945 von sowjetischen Soldaten befreit wird, flattern einige von Brasses Bildern über die leeren Wege des Konzentrationslagers. Überlebende finden ihre Karten.
Brasse ist 28 und frei. Doch es dauert lange, bis er in einer Normalität ankommt. Mit seiner Frau redet er niemals über das Lager. Doch bis kurz vor seinem Tod fühlt er sich der Erinnerung verpflichtet. Er erzählt seine Geschichte in Auschwitz. Und er behält den Glauben an die Menschen. Seine Fotografien geben den Opfern ein Gesicht - Zeugnisse des Grauens. Wilhelm Brasse tat das, was ein Fotograf mit Seele tun musste, er zeigte das, was in Auschwitz geschah."
http://www.spiegel.de/einestages/auschw ... 11484.html
Hat Wilhelm Brasse nach § 201a StGB die Hilflosigkeit einer anderen Person zur Schau gestellt, die Fotos einer dritten Person zugänglich gemacht und sollte deshalb bis zu zwei Jahren ins Gefängnis?
Beim Unglück bei der Loveparade 2010 mit vielen Toten wurden auch viele Handyaufnahmen ins Netz gestellt. Aber war es hierbei das Ziel dieser Tätigkeit, die Opfer und Toten bloßzustellen oder wollte man nicht eher damit die Wirklichkeit zeigen um anderen Darstellungen z. B. vom Veranstalter zu widersprechen?
Bei der Hindenburg-Katastrophe am 6. Mai 1937 oder bei den Terroranschläge am 11. September 2001 wurden auch Aufnahmen gemacht und veröffentlicht. Wären diese nach dem neuen Gesetz verboten?
Das berühmte Bild des „Napalm-Mädchens“ Kim Phúc, welches am 8. Juni 1972 vom Pressefotografen Nick Út gemacht wurde, gehört heute zu den bekanntesten Fotos aus dem Vietnamkrieg und wurde zum Pressefoto des Jahres 1972 gewählt. Sollte Nick Út bestraft werden weil er nach § 201a StGB die Hilflosigkeit einer anderen Person zur Schau gestellt hat?
"Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister Lorenz Caffier (CDU) begründet den Gesetzentwurf mit der Entwicklung an Unfallstellen. "Während früher bei jedem Unfall Schaulustige herbeiströmten, die gratis und unentgeltlich jede Menge gute Ratschläge verteilten, haben es die Einsatzkräfte zunehmend mit Unbeteiligten zu tun, die durch Gaffen, Fotografieren und Filmen Rettungsmaßnahmen behindern und Unfallopfer auch noch nachträglich bloßstellen, indem sie die Aufnahmen ins Netz stellen."
https://www.ndr.de/nachrichten/Gaffer-S ... er230.html
"Pistorius dazu: "Bisher ist der strafrechtliche Schutz des Paragrafen 201a StGB auf die Persönlichkeitsrechte lebender Personen beschränkt. Bereits Verstorbene genießen diesen Schutz nicht und die Fälle sind bekannt, in denen Angehörige von Unfallopfern von der Tatsache, dass Angehörige, an einem Unfall beteiligt, verstorben sind, über Facebook erfahren haben und nicht über die Polizei beispielsweise.""
https://www.mdr.de/nachrichten/politik/ ... n-100.html
Nach meiner Meinung macht es schon einen Unterschied, ob man beruflich Unfallfotos z. B. als Polizist oder Gerichtsmediziner macht um dieses als Beweis für einen Gerichtsprozess zu verwenden oder ob man die Bilder der Verstorbenen den Angehörigen über Facebook schickt um diese zu bewusst zu schockieren. Schade, dass der Gesetzesentwurf die ehrenwerten Beweggründe von Unfallaufnahmen, die es durchaus gibt, nicht berücksichtigt.