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von 422 » Di 09 Jun, 2020 08:55
Wenn man nicht viel zu tun hat, dann liest man halt mal nen ganzen Thread im SlashCam Forum und gibt seinen Senf dazu. Sowohl eine unterhaltsame, als auch eine frustrierendes Erlebnis, wenn man den ganzen guten Willen (und sich einschleichende Ungeduld) hier sieht. Nun probiere ich es auch einmal, entschuldigt bitte den unformatierten Gedankenfluss.
@Nedag: Du wirst hier hart kritisiert. Zurecht. Das ist nicht einfach, macht keinen Spaß und man möchte alles hinschmeißen. Willkommen im Filmerleben, das haben hier alle durchgemacht. Die, die beim Filmen bleiben springen über ihren Schatten und stehen immer wieder auf.
Von dem was ich hier lese, bist du junger Einzelkämpfer in einer Kleinstadt und das macht den Start schwierig. Mir haben damals Praktika weitergeholfen. Kabel geputzt, Kaffee gemacht, Catering vorbereitet und viel zugeguckt. Warum machen die wann etwas wie? Wenn der Dreh stressfrei ist (was nicht die Regel ist), in der Zigarrettenpause Fragen stellen und lernen, lernen, lernen, Seiten an Notizen (wenn erlaubt auch Fotos) machen, wiederholen. Sowohl bei großen Werbeproduktionen mit sechsstelligem Budget, der kleinen, aber kompetenten Zweimannbutze und beim Einzelkämpfer. Hocharbeiten. Statt Kaffee kochen darf man später mal nen Akku laden, ein Stativ grob positionieren, Folien einspannen. Und mit viel Glück in der Nähe sein, wenn kompetente Leute untereinander (z.B. Regie, DoP und Gaffer) reden.
Niemand hat alleine und sofort als DoP angefangen. Man braucht Praxis und muss von Anderen Lernen. Das Internet ist super für spezifische Themen, aber keine all in one Filmhochschule. Statt ne neue Kamera investiere dein Geld in Fahrtkosten in die nächste Stadt und Unterbringung. Helf bei Studentenprojekten aus. Vielleicht darfste mal in einer Szene Schärfe ziehen, etwas montieren etc. Es gibt dir Perspektive über viele Aspekte, die in einem YouTube-Tutorial vielleicht in einem Nebensatz erwähnt werden.
Ich habe mit inzwischen guten Bekannten über viel Arbeit und Zeit (120h) Kurzfilme realisiert, deren Budget 200 € (Catering, Fahrtkosten, 1-2 Requisieten, Kameraverleih für Licht/Technik) war. Sah nach je Position ungf. fünf Jahren Erfahrung für professionelle Standards okay aus. Heute mag ich ihn nicht mehr, weil ich mich weiterentwickelt habe und heute Dinge anders und effizienter machen würde.
Ein erfahrener Kameramann kann mit fast jeder Kamera etwas gut machen, wenn er die nötigen Limitationen und Kompromisse kennt. Selbst mit Handy, zwei Faltreflektoren und Kenntnis über Location, Licht und Farbtheorie (nicht Kamera, sondern Location und Kostümbezogen).
Color Grading ist meiner Ansicht nach in der Prioritäteneinstufung häufig überbewertet. Müll rein -> Müll raus. Also in-Cam soviel wie möglich machen. Für ein ansprechendes Werbe-Interview investiere ich zu Zweit (Kamera + Ton) zwei Stunden Zeit, bevor der Interviewpartner auch nur auftaucht. 20-30 Min Equipment an Location transportieren und auspacken, 30 Minuten Kamera und Licht aufstellen, 30 Minuten Raum einrichten, 30 Minuten Reserve (Schönheitskorrekturen, kleine Details, fünf Minuten Pause oder die Reserve wird benötigt, weil hektisch alles umgeworfen wird: Der Kunde hat vergessen, dass Handwerker heute im anliegenden Raum die Kacheln herausschlagen). Besichtigung und Planung erfolgte vor dem Drehtag. Wenn ein Grader budgetiert ist, macht der meist nur Details. Röte ausm Gesicht nehmen, Sättigung aus der Krawatte, bisschen Nachschärfen und fertig.
Mein größter Augenöffner war der Einfluss von Licht und Location auf das Bild. Wie ein iPhone 4 neben einer Epic (mit ähnlichem FOV) steht und die meisten den Unterschied nicht sehen. Braucht man dafür teures Licht? Jein. Der Preis hat seinen Grund (Leistung, Farbgenauigkeit, Flexibilität). Eine Straße auszuleuchten ist für die meisten Leute unrealistisch. Ein gut aussehendes Interview aber durchaus möglich. Alte 650w Scheinwerfer kosten aber heutzutage nicht mehr die Welt. Ergänzt mit ein paar LED's, günstigen schwarzen/weißen Stoffen, einem Vorhangsystem und 2-3 Faltreflektoren und ggf. 50-200 Euro Budget für den örtlichen Lichtverleih (mit entsprechenden Kontakten und einer freundlich/kompetenten Ausstrahlung --> Praktika) bringt einen sehr weit.
Der Rest ist Kenntnis. Kadrierung, Platzierung, Linsenwahl, Schärfe, Location zu nutzen wissen, Lichthärte/Diffusion, Abstände zum Objekt/Hintergrund, direkt oder indirekt, Licht hinzufügen oder wegnehmen, das ist essentiell. in Reflektor hier hellt auf, ein schwarzer Stoff dort nimmt Licht weg, ein weißer Stoff wird es zurück oder macht das Licht weicher, wenn er dazwischen gehalten wird. Stelle ich eine Pflanze in's Bild? Einen Stuhl 10° nach links? Einen Tisch weg? Putze ich das Fenster/ die Oberfläche? Wo kommt der Stiftebecher oder der Flyer hin? Bringt der Mülleimer das richtige Maß an Farbe ins Bild und verbirgt die hässliche Steckdose?
Vorhandenes Licht modifizieren ist die Meisterklasse. Wie viel Uhr ist es? Regnet es? Gibt es Wolken? Wie windig ist es? Wann schiebt sich eine dicke und wann eine dünne Wolke (Diffusion) davor? Sind Bäume im Weg? Wenn ich 10 Minuten warte, wird es dann besser? Wo steht die Sonne in einer Stunde? Wenn der Regenschauer kommt, wird es besser (nasse Flächen reflektieren, hilft z.B. bei Nachtszenen)? Wo muss die Person für nen hübschen Lichteinfall stehen (schnell, der Sonnenstand verändert sich)?
Unverzichtbares Werkzeug für Locationscouting: Kompass, Maßband, Notizbuch, eine einfache Kamera, mit zunehmender Kenntnis irgendwann ein Lichtmesser.
Ein Nebenaspekt: Das ist ganz schön viel Kram. Arbeite also nie allein, Minimumzu zweit. Ich habe alleine in meiner kompletten Karriere noch nie etwas produziert, auf dass ich hinterher stolz war. Wenn du gute Leute erhalten willst, sei angenehm, lass deinen Frust nicht an anderen aus, löse Probleme, sorge für Pausen, Essen/Trinken und beachte Sicherheit: Die meisten Scheinwerfer werden sehr heiß, Kabelsalat sorgt für Stolpergefahr und das herabfallen von schweren Metallkörpern, blockiert Fluchtwege, verursachen Feuer etc. Ein Scheinwerfer zu viel oder ein Wasserkocher am selben Stromkreis sorgen dafür, dass die Sicherung rausfliegt (Ersatz vorhanden?). Vergiss auch das nicht, sonst wird es von sehr peinlich bis strafrechtlich relevant.
Du bist ganz am Anfang. Auf die Schnauze fallen gehört dazu. Lernen erst recht. Investier die Arbeit, arbeite an deinen Fehlern und arbeite mit und unter anderen zusammen. Bleib hungrig und hör nicht auf. Ich tue das nach meinen mickrigen 10 Jahren dieses Vorgangs auch. Kenne viele, die es deutlich länger tun. Mal hat man große, mal kleine, mal keine Erfolgserlebnisse. Aber eine Lektion gibt es immer.
PS: Ich mag die Pocket übrigens nicht und ziehe bei weitem die GH5 für meine(!) Zwecke vor, bei Bedarf wird halt gemietet. Aber vor 10 Jahren hätte ich dafür einiges gegeben, als ich mit nem Reflektor und 150 Euro an Kamera inkl. Stativ angefangen habe. Und für keine Kamera dieser Welt würde ich mein inzwischen umfangreiches Lichtequipment heute tauschen wollen.