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180-Grad-Regel veraltet, motion blur lieber in der Post?



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cantsin
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180-Grad-Regel veraltet, motion blur lieber in der Post?

Beitrag von cantsin »

Seit kurzem mache ich gute Erfahrungen damit, auch bei 24/25/30p-Video-Aufnahmen die 180-Grad-Regel zu ignorieren, keine ND-Filter zu verwenden, nötigenfalls auf hohe Verschlusszeiten (wie z.B. 1/500 bzw. 18 Grad bei 25 fps) zu gehen, und dann die im Material resultierenden stroboskopartigen Bewegungen in Resolve Studio durch Zufügung von künstlichem motion blur zu glätten.

Was IMHO für diesen Workflow spricht:

- Mit bloßem Auge kann ich keinen Unterschied zwischen echtem und künstlichen motion blur erkennen. Gut möglich, dass mir da (bei meiner bisher begrenzten Verwendung dieses Workflows) noch keine grenzwertigen Situationen untergekommen ist, bei dem der reingerechnete Blur versagt und ggfs. Artefakte erzeugt. Gibt es da bekannte Erfahrungswerte, bzw. bekannte Schwachpunkte von künstlichem motion blur?

- Man spart sich nicht nur das umständliche Handling mit ND-Filtern (bei Kameras ohne eingebaute NDs), sondern auch eine weitere potentielle Fehlerquelle (wie: verschmutzter ND, ND mit kaputtem Coating, der Farbstiche erzeugt) und Bildqualitätsverschlechterungen (wie: Color Shift, bei Kleinsensorkameras oft auch Auflösungsverlust, Polarisierung und X-Muster bei Vario-NDs).

- Vor allem aber: Durch die reduzierte Bewegungsunschärfe im aufgenommenen Material erhöht sich (logischerweise) dessen optische Schärfe/Auflösung, und das wiederum ist besser, wenn man das Material heutigen Bildverbesserungs/-bearbeitungsalgorithmen unterwirft - wie Denoising [temporal denoising z.B. funktioniert besser mit knackscharfen Einzelframes], künstliche Zeitlupe/optical flow [ditto - hier ist die Abwesenheit von motion blur im Material praktisch Pflicht] sowie nachträgliche Stabilisierung [ditto - komme hier zu deutlich besseren Ergebnissen bei Ausgangsmaterial ohne motion blur].

- Letzteres gilt natürlich erst recht für alle KI-/Deep Learning-basierte Technologien, die gerade erst Fahrt aufnehmen, wie z.B. AI-Upscaling, -Denoising und -Zwischenbildberechnung.

Der Gedanke ist also ähnlich wie bei Raw- und Log-Aufnahme in Bezug auf Spatial- und Farbauflösung, das man nämlich auch hinsichtlich Bewegungsauflösung umdenkt und die fertige Bewegungsdarstellung/das erwünschte Bild nicht mehr hart ins Material einbackt, sondern lieber versucht, soviel Bildinformation wie möglich im Material zu bewahren, um optimale Ausgangsdaten für die Nachbearbeitung zu haben.

Wobei diese Überlegung natürlich mit der erzielbaren visuellen Qualität von künstlichem motion blur steht und fällt.

Wäre neugierig, mal Eure Erfahrungen und Meinungen zu dieser Frage zu hören.
Zuletzt geändert von cantsin am Sa 17 Sep, 2022 17:02, insgesamt 1-mal geändert.



DAF
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Re: 180-Grad-Regel veraltet, motion blur lieber in der Post?

Beitrag von DAF »

cantsin hat geschrieben: Sa 17 Sep, 2022 16:49 ... und Meinungen zu dieser Frage zu hören.
So lange man keinen Workflow hat, wo vom Original oder auch z.B. von niedriger aufgelöstem & höher komprimiertem Material (als Zweitaufnahme auf der 2. SD-Karte) schnell Social-Teaser, Vorschauen etc. erstellt werden müssen, mag das sicher funktionieren. Probiert hab ich´s noch nicht, weil´s bei mir überwiegend Richtung Low-Light geht.
Das mit der künstlichen Zeitlupe ist aber eine interessante Überlegung, und mal einen Versuch wert.
Grüße DAF



Mediamind

Re: 180-Grad-Regel veraltet, motion blur lieber in der Post?

Beitrag von Mediamind »

Ich werde manchmal in Situationen geworfen, bei denen ich nicht umständlich die ND wechseln kann. Eine richtige Belichtung ist mir in dem Fall wichtiger als die 180 Gradregel. Da bin ich mittlerweile sehr pragmatisch. Was nutzen Bewegungsunschärfen, wenn die Hauttöne wächsern werden oder andere Dinge nicht stimmen. Im Grunde bleibe ich aber bei 180 Grad und mache mir das Leben in der Post nicht unnötig schwer. Ich halte es aber in der Tat für eine Regel, der man mit den heutigen Möglichkeiten nicht zwanghaft folgen muss.
Seitdem ich den Revoring verwende, ist es allerdings deutlich entspannter geworden. Damit ist es sehr leicht, die einfallende Lichtmenge zu handhaben.



cantsin
Beiträge: 14305

Re: 180-Grad-Regel veraltet, motion blur lieber in der Post?

Beitrag von cantsin »

Mediamind hat geschrieben: Sa 17 Sep, 2022 17:01 Seitdem ich den Revoring verwende, ist es allerdings deutlich entspannter geworden. Damit ist es sehr leicht, die einfallende Lichtmenge zu handhaben.
Vielleicht hatte ich meine Frage schlecht formuliert. Ich meinte eigentlich noch provokanter:

Selbst wenn man eine unkomplizierte Möglichkeit hat, NDs vorzuschalten (interne NDs, Revoring, magnetische NDs, gute Vario-NDs, oder bei meinen Kameras die Ulanzi-Filterklappe) - könnte es nicht auch dann besser sein, ganz auf sie zu verzichten, sein Material mit hohen Verschlusszeiten aufzunehmen und den motion blur erst in der Post reinzurechnen, weil das diverse andere o.g. Vorteile hat?



pillepalle
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Re: 180-Grad-Regel veraltet, motion blur lieber in der Post?

Beitrag von pillepalle »

Ich muss Montag ein paar Zeitraffer-Aufnahmen machen und halte mich schön brav an die 180° Regel :) Hatte heute mal ein paar Testaufnahmen gemacht und musste nicht lange drüber nachdenken, warum lange Belichtungszeiten besser aussehen. Außerdem - warum sollte ich in der Post noch herumfummeln wollen, wenn man's auch direkt richtig machen kann? Die neuen Kameras sind für solche Dinge wirklich super und nehmen einem quasi schon die ganze Arbeit ab. Ich werde noch nicht mal RAW Einzelbilder machen sondern mir direkt einen 4K Clip rendern lassen. Wenn man Geld verdienen möchte, sind praktische Überlegungen oft wichtiger, als zu versuchen das letzte Quäntchen Qualität heraus zu holen, was am Ende eh niemand sieht.

VG
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cantsin
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Re: 180-Grad-Regel veraltet, motion blur lieber in der Post?

Beitrag von cantsin »

pillepalle hat geschrieben: Sa 17 Sep, 2022 17:09 Wenn man Geld verdienen möchte, sind praktische Überlegungen oft wichtiger, als zu versuchen das letzte Quäntchen Qualität heraus zu holen, was am Ende eh niemand sieht.
Das war aber eigentlich auch mein Punkt. Dass man sich nämlich in der Praxis (gerade mit Spiegellos- und anderen Kameras ohne eingebauten ND) Arbeit und potentielle Fehlerquellen spart, und daneben noch Vorteile für die Nachbearbeitung gewinnt.

Den künstlichen motion blur setze ich in Resolve einmal auf eine Group-Node, die dann auf alles importierte Kameramaterial angewendet wird, was mich nur ein paar Sekunden Arbeitszeit kostet.



roki100
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Re: 180-Grad-Regel veraltet, motion blur lieber in der Post?

Beitrag von roki100 »

Ich weiß was Du meinst und hast eigentlich recht damit. Ich kenne Motion Blur sehr gut von VFX/Compositing bzw. BMD Fusion oder Apple Motion, da wird es genau aus dem selben Grund angewendet und dementsprechend kann man es genau so auch für Videoaufnahmen anwenden.
Ich nutze es auch in Verbindung mit ProRes RAW 60p bzw. SloMo sieht damit definitiv besser aus.
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Zuletzt geändert von roki100 am Sa 17 Sep, 2022 17:22, insgesamt 1-mal geändert.



pillepalle
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Re: 180-Grad-Regel veraltet, motion blur lieber in der Post?

Beitrag von pillepalle »

@ catsin

Ja, aber es sieht doch nie so wie echter Motion Blur aus. Objekte bewegen sich unterschiedlich schnell, oder bei Wind mit unerwarteten Richtungswechseln, usw... Dann hast Du 30 sich bewegende Objekte im Bild und willst für jedes das passende Blur einstellen? Wie gesagt, wenn's geht, warum nicht direkt richtig machen?

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roki100
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Re: 180-Grad-Regel veraltet, motion blur lieber in der Post?

Beitrag von roki100 »

pillepalle hat geschrieben: Sa 17 Sep, 2022 17:22 @ catsin

Ja, aber es sieht doch nie so wie echter Motion Blur aus. Objekte bewegen sich unterschiedlich schnell, oder bei Wind mit unerwarteten Richtungswechseln, usw... Dann hast Du 30 sich bewegende Objekte im Bild und willst für jedes das passende Blur einstellen? Wie gesagt, wenn's geht, warum nicht direkt richtig machen?
Warum für jedes bewegende Objekte? ;) Entweder habe ich einen Denkfehler oder Du ;)

Ich denke, wenn man (wie das Beispiel von cantsin) in z.B. 1/500 bzw. 18 Grad bei 25 fps aufnimmt, dann wirkt Motion Blur auf alle bewegende Objekte gleich.
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pillepalle
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Re: 180-Grad-Regel veraltet, motion blur lieber in der Post?

Beitrag von pillepalle »

@ roki

Weil sich die Objekte in unterschiedliche Richtungen bewegen und der Blur dann auch anders aussieht, oder sich unterschiedlich schnell bewegen. Ich gebe zu, bei den Belichtungszeiten die ich nutze (eine bis mehrere Sekunden) fällt das mehr auf als bei 1/50. Aber das Prinzip ist das gleiche.

VG
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Zuletzt geändert von pillepalle am Sa 17 Sep, 2022 17:34, insgesamt 1-mal geändert.



cantsin
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Re: 180-Grad-Regel veraltet, motion blur lieber in der Post?

Beitrag von cantsin »

pillepalle hat geschrieben: Sa 17 Sep, 2022 17:22 Ja, aber es sieht doch nie so wie echter Motion Blur aus. Objekte bewegen sich unterschiedlich schnell, oder bei Wind mit unerwarteten Richtungswechseln, usw... Dann hast Du 30 sich bewegende Objekte im Bild und willst für jedes das passende Blur einstellen? Wie gesagt, wenn's geht, warum nicht direkt richtig machen?
Der Motion Blur-Effekt von Resolve Studio basiert auf optical flow und schätzt die Bewegungen aller Objekte im Bild ein. Das ist also nicht einfach nur ein primitiver Wisch-Effekt (wie z.B. der Motion Blur-Filter in Photoshop).

In Resolves Handbuch wird er wie folgt beschrieben:
"Motion Blur settings use optical-flow based motion estimation to add artificial motion blur to clips that have none. This can be useful in cases where a program was shot using a fast shutter speed, and you later decide that the resulting video has too much strobing. By analyzing the motion within a clip, the Motion Blur settings can selectively apply blurring to the image based on the speed and direction of each moving element within the scene."



pillepalle
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Re: 180-Grad-Regel veraltet, motion blur lieber in der Post?

Beitrag von pillepalle »

@ cantsin

Danke für die Info. Werde ich mir mal anschauen. Trotzdem kann das bei zufälligen Bewegungen nicht wirklich funktionieren. Mag sein das der Unterschied zu echtem bei wenig Blur kaum auffällt.

VG

PS: Um einmal ein einfaches Beispiel zu machen... man hat eine Vogelperspektive von einem Auto das entlang einer Straße eine Kurve fährt. Dann hat man in einem echten Motion Blur einen rundlichen Wischer (das Stück Kurve das es zurück gelegt hat). Wenn Resolve das anhand des ersten und nächten Bildes berechnet, macht es keinen runden, sondern einen geraden Wischer, weil ihm die Kurveninformation von dem was dazwischen passiert ist fehlt.
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Zuletzt geändert von pillepalle am Sa 17 Sep, 2022 17:43, insgesamt 3-mal geändert.



roki100
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Re: 180-Grad-Regel veraltet, motion blur lieber in der Post?

Beitrag von roki100 »

pillepalle hat geschrieben: Sa 17 Sep, 2022 17:28 @ roki

Weil sich die Objekte in unterschiedliche Richtungen bewegen und der Blur dann auch anders aussieht, oder sich unterschiedlich schnell bewegen. Ich gebe zu, bei den Belichtungszeiten die ich nutze (eine bis mehrere Sekunden) fällt das mehr auf als bei 1/50. Aber das Prinzip ist das gleiche.

VG
egal in welche Richtung, Motion Blur lässt sich so justieren, als hättest Du tatsächlich Kameraintern 180° bei 25fps angewendet . Manchmal glaube ich zu wissen ;) dass der Kamerainterner elektronischer xy Grad Prozess, nichts anderes ist, als kamerainternes Motion Blur. ;)

Wie bereits erwähnt, das wird auch von 3D Artisten / VFX &Co. benutzt... bei Kameraaufnahme bzw. Bewegbilder, wird es (denke ich) nicht anders sein.
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cantsin
Beiträge: 14305

Re: 180-Grad-Regel veraltet, motion blur lieber in der Post?

Beitrag von cantsin »

pillepalle hat geschrieben: Sa 17 Sep, 2022 17:34 Danke für die Info. Werde ich mir mal anschauen. Trotzdem kann das bei zufälligen Bewegungen nicht wirklich funktionieren. Mag sein das der Unterschied zu echtem bei wenig Blur kaum auffällt.
Ja, das ist auch meine Frage. Bei künstlicher Zeitlupe mit optical flow fallen Artefakte ja sofort auf (wie z.B. Konturen, die kaugummiartig zerfließen), aber bei dem optical flow-motion blur von Resolve ging mir das bisher noch nicht so. Und es scheint ja in der Tat so zu sein, dass solche computerberechnete Bewegungsunschärfe im Bereich Animation/motion graphics/SFX routinemäßig eingesetzt wird und da offenbar gut funktioniert.

Bisher habe ich den künstlichen motion blur vor allem verwendet, um mit MotionCam spontan gedrehte Smartphone-Videos zu entstroboskopieren, wie z.B. dies hier:



roki100
Beiträge: 15316

Re: 180-Grad-Regel veraltet, motion blur lieber in der Post?

Beitrag von roki100 »

Nachtrag zu 3D VFX Compositing etc. siehe zB.:

What led to the idea of Motion Blur? Or the need for it?

Motion Blur in terms of film and video is a consequence of the shutter angle or time.

The shutter angle is the method of measuring the time the sensor or film emulsion is exposed to the light that produces the images you see per frame. Imagine the shutter as a 360-degree circle, with the shutter angle representing a slice of pizza taken out of it. The higher the shutter angle, the longer the film/sensor is exposed to light when the shutter is rotated. Therefore, the shutter angle is the time the film/sensor “sees” the movement for the respective image. This results in motion blur.

Another way to measure the exposure time of the recording medium is called shutter speed. The difference between shutter angle and shutter time is that the latter is a measure of how long the shutter is open per second. A shutter speed of 1/48 means that the shutter is open for forty-eighth of a second. This method of measuring shutter speeds is more closely related to the world of photography, but some digital film/video cameras can also measure shutter speeds in this way.

Essentially, you could argue that this is the only reason Motion Blur exists. We are used to seeing Motion Blur on moving images. It gives everything a more natural look because we are used to seeing motion in this way through the different shutter speeds of film and video. Motion Blur is also absolutely necessary from a compositing point of view to adapt its special FX elements to its live action elements....
https://viscircle.de/motion-blur-introd ... s/?lang=en
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(Steve Jobs)



rush
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Re: 180-Grad-Regel veraltet, motion blur lieber in der Post?

Beitrag von rush »

cantsin hat geschrieben: Sa 17 Sep, 2022 17:17
Den künstlichen motion blur setze ich in Resolve einmal auf eine Group-Node, die dann auf alles importierte Kameramaterial angewendet wird, was mich nur ein paar Sekunden Arbeitszeit kostet.
Interessant - ist der dann nach Deiner bisherigen Ansicht auch flexibel anwendbar bei unterschiedlichen Shutterzeiten? Also angenommen man variiert die Belichtung primär über den Verschluss, was einige ja aus dem A7sIII Thread bereits praktizieren.

Habe den Motion Blur Filter in Resolve noch nie benutzt - aber wie gehst Du da heran? Ein Setting für alles- oder macht es dann schon noch Sinn das entsprechend des Ausgangsshutters anzupassen wenn man mehrere Clips hat? Weil wenn man letzten Endes doch nur wieder einen fixen höheren wählt, wäre der Vorteil ja futsch.
keep ya head up



pillepalle
Beiträge: 8573

Re: 180-Grad-Regel veraltet, motion blur lieber in der Post?

Beitrag von pillepalle »

@ cantsin

Ja, das meine ich ja. Bei wenig Motionblur (25fps) fällt der Unterschied vermutlich gar nicht auf, selbst wenn es falsch ist. Bei Timelapseaufnahmen mit 1/2 oder 1/4 fps sieht man das sofort. Einfach weil es um das 50 oder 100 Fache verlängert wurde und man quasi die Bewegung die zwischen zwei Bildern passiert ist anhand des Wischers nachverfolgen kann.

VG
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cantsin
Beiträge: 14305

Re: 180-Grad-Regel veraltet, motion blur lieber in der Post?

Beitrag von cantsin »

Hier mal ein Beispielframe ohne und mit künstlichem motion blur:
1.3.2_1.3.2.POST.jpg
Originalmaterial
1.3.1_1.3.1.POST.jpg
mit Resolves künstlicher Bewegungsunschärfe


Detailausschnitte:
1.3.2_1.3.2.POST-crop.jpg
1.3.1_1.3.1.POST-crop.jpg
Man sieht ganz gut, dass Resolve hier die unterschiedlichen Bewegungen bzw. Bewegungsgeschwindigkeiten (a) der Kamera und (b) der Tänzerin erkennt und dementsprechend die künstliche Bewegungsunschärfe für die jeweiligen Bildteile dosiert.
Du hast keine ausreichende Berechtigung, um die Dateianhänge dieses Beitrags anzusehen.



cantsin
Beiträge: 14305

Re: 180-Grad-Regel veraltet, motion blur lieber in der Post?

Beitrag von cantsin »

rush hat geschrieben: Sa 17 Sep, 2022 17:52 Interessant - ist der dann nach Deiner bisherigen Ansicht auch flexibel anwendbar bei unterschiedlichen Shutterzeiten?
Ja, wobei bei diesem Workflow es natürlich optimal ist, so wenig Bewegungsunschärfe wie möglich im Ausgangsmaterial zu haben (also möglichst kurze Verschlusszeiten).
Also angenommen man variiert die Belichtung primär über den Verschluss, was einige ja aus dem A7sIII Thread bereits praktizieren.
Ist ja mittlerweile eine eigene (Brandon Li...) YouTube-Ästhetik. Ansonsten gibt's das ja wohl auch bei Action-/Martial Arts-Filmen, dass da mit kürzeren Verschlusszeiten und resultierendem leichtem Stroboskopeffekt gefilmt wird, um die Kampfszenen noch härter/dynamischer aussehen zu lassen. Oder eben umgekehrt die Filme mit langen Verschlusszeiten wie Chungking Express von Wong Kar-Wai (mit Christopher Doyle als Kameramann).

Habe den Motion Blur Filter in Resolve noch nie benutzt - aber wie gehst Du da heran? Ein Setting für alles-
Ein Setting bei Motion Blur-Dosierung "25", weil die eigentliche Bewegungserkennung und motivs-/bewegungsspezifische Blur-Dosierung ja von der Erkennungssoftware bestimmt wird.



AndySeeon
Beiträge: 766

Re: 180-Grad-Regel veraltet, motion blur lieber in der Post?

Beitrag von AndySeeon »

Genau diese Frage habe ich mir vor einiger Zeit auch gestellt. Ich hatte da gerade ein Projekt "Hüpfmania" - ein Areal mit Unmengen von Hüpfburgen. Ich habe (bei 25p) fast alles mit 1/50 Belichtungszeit (180°) gefilmt. Trotzdem musste ich in Resolve Motion Blur hinzufügen. Da sind trotz 180° zunächst noch Stottereffekte im fertigen Film zu sehen.

Ganz so einfach, wie Cantsin sich das vorstellt, war es bei mir nicht. Ich habe den fertigen Film angeschaut und dann bei den betreffenden Szenen individuell den Motion Blur "dosiert". Dazu brauchte ich Werte von ca. 15 bis hoch zu 35, immer abhängig von der Entfernung / Brennweite und der Bewegungsgeschwindigkeit in der Szene.

Zwischendurch hatte ich tatsächlich mal versuchsweise Szenen mit 1/150 Verschlusszeit gedreht. Da war der Strobo- Effekt schon abartig. Hier musste ich das Motion Blur bis auf 50 hochdrehen und trotzdem läuft der Clip nicht gänzlich glatt. Bei noch mehr Motion Blur fängt das ganze Bild an, zu verwischen und unscharf zu werden (leichte Sliderbewegung).

Ich habe für mich entschieden, lieber die Belichtungszeit sogar eher runter zu drehen (1/30), wenn es die Szene erfordert, ansonsten aber grundsätzlich 180° beizubehalten.

Just meine Erfahrung dazu...

Gruß, Andreas
Gesegnet seien jene,die nichts zu sagen haben und trotzdem den Mund halten.
-Karl Valentin-



Axel
Beiträge: 16299

Re: 180-Grad-Regel veraltet, motion blur lieber in der Post?

Beitrag von Axel »

cantsin hat geschrieben: Sa 17 Sep, 2022 16:49- Man spart sich nicht nur das umständliche Handling mit ND-Filtern (bei Kameras ohne eingebaute NDs), sondern auch eine weitere potentielle Fehlerquelle (wie: verschmutzter ND, ND mit kaputtem Coating, der Farbstiche erzeugt) und Bildqualitätsverschlechterungen (wie: Color Shift, bei Kleinsensorkameras oft auch Auflösungsverlust, Polarisierung und X-Muster bei Vario-NDs).
Deswegen hatte ich mir im Frühling ein Dreierset Klickfilter gekauft, die vor den Sensor kommen:
Bild

... und die würde ich auch wieder einsetzen in einer der geplanten Run&Gun-Situationen, die ein Hochzeitsvideo darstellt. Vor kurzem machte ich für einen Freund eines, davor seit Corona keines mehr. Oft ist man zwei, drei Stunden in der direkten Sonne und erlebt sämtliche von dir aufgezählten Bildverschlechterungen eines Vari-NDs plus Reflexen, die mich extrem nerven. Ein ND8 vor dem Sensor, der Rest mit Blende und Verschlusszeit (in dieser Reihenfolge), was oft heißt ND8 + f11 + 1/100. Oder so.

Neben den von dir erwähnten Argumenten ist ein weiteres die genaue Dosierbarkeit des Motionblurs in der Post. Theoretisch sogar nur auf bestimmte Bildpartien bezogen: der Rage-Kranke, den die Magic Mask erfasst hat, stroboskopiert bei 1/2000, der Hintergrund schmiert brav in künstlichen 1/50.

Eine weitere Überlegung ist das Vermeiden-Müssen von Motionblur für Gyrostabilisierung in der Post. Das gäbe imo nicht den Ausschlag, aber es weist einmal mehr darauf, dass die bessere Ausgangsqualität bei geringerem Blur liegt.
cantsin hat geschrieben: Sa 17 Sep, 2022 17:17Den künstlichen motion blur setze ich in Resolve einmal auf eine Group-Node, die dann auf alles importierte Kameramaterial angewendet wird, was mich nur ein paar Sekunden Arbeitszeit kostet.
Da kann man mal sehen. Ich mach's immer zu kompliziert.
pillepalle hat geschrieben: Sa 17 Sep, 2022 17:34Trotzdem kann das bei zufälligen Bewegungen nicht wirklich funktionieren. Mag sein das der Unterschied zu echtem bei wenig Blur kaum auffällt.
Auffällt?

Das ist mein "Problem". Ich sehe Abweichungen vom "echten" Motionblur nur in den Extremen.
Bild

... und darüber hinaus interessiert es glaube ich keinen, ob etwas echt oder gefakt aussieht. Weil niemand außer irgend ein paar verstrahlten Fachidioten weiß, was echt ist. Ist dasselbe mit echtem Tiltshift, echtem Pro Mist, echter Nacht, echten Vignetten oder echtem Vertigo-Effekt (der ja schon im namensgebenden Original ein Fake war).
Na und? Im Fernsehen wird ja auch alles wiederholt ...



Frank Glencairn
Beiträge: 23166

Re: 180-Grad-Regel veraltet, motion blur lieber in der Post?

Beitrag von Frank Glencairn »

cantsin hat geschrieben: Sa 17 Sep, 2022 16:49

Wäre neugierig, mal Eure Erfahrungen und Meinungen zu dieser Frage zu hören.
Ja, kann man schon machen - wir machen das z.B. bei Greenscreen aus verschiedensten Gründen schon länger - oder bei 3D, um Renderzeit zu sparen.

Ich hatte bisher allerdings keinen Anlass das bei "normalen" Aufnahmen zu machen, weil die von dir angeführten Gründe bei mir eigentlich nie wirklich zum Tragen kommen.

Auf der anderen Seite ist das ja auch ne Frage wie viel Licht man überhaupt zur Verfügung hat.
Wenn man hauptsächlich tagsüber im Freien dreht, ist das durchaus ne Option wenn man Bedarf für sowas hat - warum auch nicht?
Bei anderen Situationen müßte man dann erst mal doppelt so viel Licht (oder mehr) mitbringen.

Ich hab's jetzt ehrlich gesagt selbst noch nicht gegen echtes Motion Blur getestet, aber bei den Greenscreen Sachen macht das Motion Blur von Resolve jedenfalls nen echt guten Job - hauptsächlich bei der Integration, aber der kurze Shutter hilft natürlich auch bei schnellen Bewegungen.
Sapere aude - de omnibus dubitandum



pillepalle
Beiträge: 8573

Re: 180-Grad-Regel veraltet, motion blur lieber in der Post?

Beitrag von pillepalle »

Axel hat geschrieben: Sa 17 Sep, 2022 18:39
... und darüber hinaus interessiert es glaube ich keinen, ob etwas echt oder gefakt aussieht. Weil niemand außer irgend ein paar verstrahlten Fachidioten weiß, was echt ist. Ist dasselbe mit echtem Tiltshift, echtem Pro Mist, echter Nacht, echten Vignetten oder echtem Vertigo-Effekt (der ja schon im namensgebenden Original ein Fake war).
Ein paar Leute scheinbar schon ;) Tom Cruise setzt sich nicht nur zum Spaß in ein echtes Flugzeug. Auch wenn viele es nicht erklären können, merkt man einem Fake eben doch meist an, daß es ein Fake ist. Man versucht immer die Wirklichkeit zu imitieren, sei es bei CGI Menschen, bei CGI Objekten denen man Makel hinzufügt, damit sie 'echter' wirken, falschen Hintergründen usw. Aber die Illusion gelingt eben nur, wenn sie gut gemacht ist. Schau Dir mal die Film-Effekte von vor 70 Jahren an. Da muss man heutzutage meist drüber schmunzeln. In 70 Jahren werden sie es über die heutigen Effekte auch tun.

VG
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Axel
Beiträge: 16299

Re: 180-Grad-Regel veraltet, motion blur lieber in der Post?

Beitrag von Axel »

pillepalle hat geschrieben: Sa 17 Sep, 2022 18:54
Axel hat geschrieben: Sa 17 Sep, 2022 18:39
... und darüber hinaus interessiert es glaube ich keinen, ob etwas echt oder gefakt aussieht.
Ein paar Leute scheinbar schon ;) Tom Cruise setzt sich nicht nur zum Spaß in ein echtes Flugzeug. Auch wenn viele es nicht erklären können, merkt man einem Fake eben doch meist an, daß es ein Fake ist. Man versucht immer die Wirklichkeit zu imitieren, sei es bei CGI Menschen, bei CGI Objekten denen man Makel hinzufügt, damit sie 'echter' wirken, falschen Hintergründen usw. Aber die Illusion gelingt eben nur, wenn sie gut gemacht ist. Schau Dir mal die Film-Effekte von vor 70 Jahren an. Da muss man heutzutage meist drüber schmunzeln. In 70 Jahren werden sie es über die heutigen Effekte auch tun.
Vor 11 Jahren schrieb wolfgang (slashCAM-Mitglied und Administrator irgendeines anderen Videoforum, abtrünnig oder verstorben) bezüglich Frameraten:
wolfgang hat geschrieben: Fr 29 Apr, 2011 10:47... unser Gehirn nimmt 24p/25p anders wahr als 50i/50p. Und zwar so, dass 24p/25p als in der Vergangenheit interpretiert wird - also quasi als Geschichte die erzählt wird. Hingegen 50i/50p als in der Gegenwart liegend.

Das hängt mit der geänderten Bewegungsauflösung zusammen - daher ist der klassische Kinofilm halt eigentlich viel besser geeignet, eine "Geschichte" zu erzählen, weil in der Vergangenheit liegend, als das herkömmliche Video mit 50 Halbbildern oder jetzt auch Vollbildern.
... und das betrifft ganz selbstverständlich auch Motionblur. Das ist eine mit 24p/25p siamesisch verwachsene Filmlook-Zutat. HFR ist echter, sieht zumindest echter aus. Ist aber nicht das Wahre. Mit reality-stunts hat das nichts zu tun.
Na und? Im Fernsehen wird ja auch alles wiederholt ...



pillepalle
Beiträge: 8573

Re: 180-Grad-Regel veraltet, motion blur lieber in der Post?

Beitrag von pillepalle »

@ Axel

Es ging nicht um die Framerate und mit Deinem Statement (ob etwas echt oder gefaked aussehe) hat das auch wenig zu tun. Klar kann man höhere Frameraten, oder abgehackte Bilder, auch mal als Effekt einsetzen, aber ein Film besteht eben in der Regel nicht aus der Aneinanderreihung von soundsovielen scharfen Fotos. Im Gegenteil, wenn man sich Filmstills anschaut, merkt man ersteinmal wie unscharf das Ganze wirklich ist. Aber gerade das macht es ja so organisch.

Die Frage die ich mir bei solchen Dingen immer stelle ist eben die, warum nicht gleich richtig machen? Ich soll erst knackscharfe Einzelbilder machen, um sie dann in der Post wieder unscharf zu machen? Und der Vorteil ist dann die Flexibilität in der Post? Falls ich mir doch nochmal alles anders überlege? Vielleicht bin ich ja etwas altmodisch, aber normalerweise habe ich beim Drehen bereits ein Bild im Kopf das ich versuche so gut wie möglich umsetzten. Ich fange doch nicht erst in der Post an zu überlegen wie etwas aussehen soll?

Wenn es darum geht etwas vermurkstes zu retten (man hatte keine Zeit für die richtigen Einstellungen), oder es darum geht Smartphone-Filme besser aussehen zu lassen, dann sind solche Techniken sicher hilfreich. Aber ohne Not käme mir das nicht in den Sinn.

VG
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Axel
Beiträge: 16299

Re: 180-Grad-Regel veraltet, motion blur lieber in der Post?

Beitrag von Axel »

Im Großen und Ganzen bin ich deiner Meinung. Trotzdem gefällt mir der Gedanke, Geraffel bei der Aufnahme zu minimieren, auch wenn das in der Post mehr Gebastel bedeutet.
Na und? Im Fernsehen wird ja auch alles wiederholt ...



DAF
Beiträge: 1202

Re: 180-Grad-Regel veraltet, motion blur lieber in der Post?

Beitrag von DAF »

pillepalle hat geschrieben: Sa 17 Sep, 2022 20:44 ... Ich fange doch nicht erst in der Post an zu überlegen wie etwas aussehen soll?
...
Das nicht - aber es gibt Szenarien wo ein erweiterter Spielraum zur Nachbearbeitung sinnvoll sein kann. Zumindest bei mir. Wenn dann der draufgerechnete Blur (fast) original aussieht, warum nicht.
Beispielsweise bei künstlicher Zeitlupe in der Post. Dahingehend werde ich das def. mal austesten, wie beides (also Original-Geschwindigkeit mit unechtem Blur <> knackscharfe Bilder mit künstlicher SlowMo) aussieht. Denn ne 50FPS Aufnahme nicht nur x2 in der 25-er Timeline ohne Qualitätsverlust, sondern x4/x8 (oder sogar mit Ramps in AE) in guter Qualität hätte ich schon hin und wieder brauchen können...

BTW: Zur Zeit ist Oktoberfest hier in München. Da gibt´s tgl. ab 20.00 Uhr+ soviel unscharfe Bewegungen wie sonst selten. Völlig unabhängig von Framerate & Shutter-Speed. Ein Eldorado... 🤩
(sorry, musste sein...)
Grüße DAF



cantsin
Beiträge: 14305

Re: 180-Grad-Regel veraltet, motion blur lieber in der Post?

Beitrag von cantsin »

pillepalle hat geschrieben: Sa 17 Sep, 2022 20:44 Die Frage die ich mir bei solchen Dingen immer stelle ist eben die, warum nicht gleich richtig machen? Ich soll erst knackscharfe Einzelbilder machen, um sie dann in der Post wieder unscharf zu machen? Und der Vorteil ist dann die Flexibilität in der Post? Falls ich mir doch nochmal alles anders überlege? Vielleicht bin ich ja etwas altmodisch, aber normalerweise habe ich beim Drehen bereits ein Bild im Kopf das ich versuche so gut wie möglich umsetzten. Ich fange doch nicht erst in der Post an zu überlegen wie etwas aussehen soll?
Naja, mit dem gleichen Argument könnte man dann sagen: Wenn man klassische s/w-Porträtfotografie macht und das Bild, das man vor Augen hat, direkt umsetzen will, und das wäre dann mit Gelbfilter, sollte man auch klassisch einen Gelbfilter vors Objektiv schrauben, statt ihn in Lightroom & Co. (durch Gelbfilterung des Bilds + Entsättigung) zu simulieren.

Nur kann gerade bei Digitalfotografie/-videographie "so gut wie möglich" auch bedeuten: soviel Information (im Sinne von Shannon/Weaver) im Bild wie möglich speichern, und alles, was Information/Bildqualität mindert, in die Post verlagern. Im Falle des Gelbfilters - und praktisch aller früher gebräuchlichen Glasfilter außer Pol und ND - wird das ja auch schon seit langem von allen gemacht.

Im Falle der 180-Grad-Regel und der dafür nötigen NDs bedeutet das ja, dass ich für eine ansprechende Bewegungsdarstellung das Bild in mehreren Aspekten qualitativ mindere: durch den vorgesetzten Filter und dessen optischen Artefakte, und eben durch mehr Unschärfe im Bild. Und dann kommt - wie beim Gelbfilter - noch der praktische Aspekt hinzu, dass es ohne einfacher und schneller geht.

Aus meiner Sicht geht die Tendenz immer mehr dahin, dass die Bild-Aufnahme eigentlich eine Datenerfassung ist, die möglichst optimale Daten für die Postproduktion liefert. (Was bei Hollywoodfilmproduktionen ja schon länger der Fall ist, durch preiswerte/demokratisierende Tools wie Resolve aber eben auch beim Mittelstand und Prosumern landet.)

Wenn es darum geht etwas vermurkstes zu retten (man hatte keine Zeit für die richtigen Einstellungen), oder es darum geht Smartphone-Filme besser aussehen zu lassen, dann sind solche Techniken sicher hilfreich. Aber ohne Not käme mir das nicht in den Sinn.
Du kannst ja noch weiterdenken: Was, wenn Du das aufgenommene Material in 10 oder 20 Jahren upscalen musst oder auf eine höhere Framerate hochrechnen (weil das dann Standard ist, so wie heute HD ggü. SD)? Dann ärgerst Du Dich, wenn Du überall im Material 1/48-Bewegungsunschärfe-Wischer hast, die dann die Hochrechnung versauen.
Zuletzt geändert von cantsin am Sa 17 Sep, 2022 22:57, insgesamt 1-mal geändert.



iasi
Beiträge: 24486

Re: 180-Grad-Regel veraltet, motion blur lieber in der Post?

Beitrag von iasi »

Es ist wie mit Raw.
Man erhält den größeren Gestaltungsspielraum in der Post, wenn die Einzelbilder wenig Bewegungsunschärfe aufweisen.
HFR gehört hierbei direkt dazu, denn die Sprünge vermindern sich.

HFR und kurze Belichtungszeiten ermöglichen - neben all dem schon genannten - auch höhere Schwenkgeschwindigkeiten.

Man sollte übrigens auch nicht vergessen, dass Filme mit Umlaufblende projiziert und jedes Bild doppelt gezeigt wurde, wenn man mit der Seherfahrung alter Zeiten anfängt.



pillepalle
Beiträge: 8573

Re: 180-Grad-Regel veraltet, motion blur lieber in der Post?

Beitrag von pillepalle »

cantsin hat geschrieben: Sa 17 Sep, 2022 22:56 Naja, mit dem gleichen Argument könnte man dann sagen: Wenn man klassische s/w-Porträtfotografie macht und das Bild, das man vor Augen hat, direkt umsetzen will, und das wäre dann mit Gelbfilter, sollte man auch klassisch einen Gelbfilter vors Objektiv schrauben, statt ihn in Lightroom & Co. (durch Gelbfilterung des Bilds + Entsättigung) zu simulieren.

Nur kann gerade bei Digitalfotografie/-videographie "so gut wie möglich" auch bedeuten: soviel Information (im Sinne von Shannon/Weaver) im Bild wie möglich speichern, und alles, was Information/Bildqualität mindert, in die Post verlagern. Im Falle des Gelbfilters - und praktisch aller früher gebräuchlichen Glasfilter außer Pol und ND - wird das ja auch schon seit langem von allen gemacht.
Du kannst bei einer Digitalkamera gar keinen Gelbfilter benutzten, weil ein S/W Film ganz anders sensibilisiert war (panchromatisch). Man muss es also bei einer Digitalkamera ohnehin digital machen, ob man will oder nicht.
cantsin hat geschrieben: Sa 17 Sep, 2022 22:56 Im Falle der 180-Grad-Regel und der dafür nötigen NDs bedeutet das ja, dass ich für eine ansprechende Bewegungsdarstellung das Bild in mehreren Aspekten qualitativ mindere: durch den vorgesetzten Filter und dessen optischen Artefakte, und eben durch mehr Unschärfe im Bild. Und dann kommt - wie beim Gelbfilter - noch der praktische Aspekt hinzu, dass es ohne einfacher und schneller geht.
Das fällt für mich schon in den Bereich der Esoterik. Diese ganzen Qualitätsdiskussionen sind spätestens in dem Moment in dem sich die Kamera bewegt hinfällig. Unabhängig davon sieht bei guten Filtern, selbst bei statischer Kamera, kein Mensch einen Qualitätsunterschied.

Und was Du praktischen Aspekt nennst, würde ich unter normalen Umständen als Faulheit bezeichnen. Das Ideal ist für viele scheinbar der hosentaschengroße Vollautomat. Ein externer Rekorder wird als riesen Handycap bei der Arbeit gesehen, echte Filter als umständlich und teuer und ein Stativ mitzunehmen ist ohnehin eine Zumutung ;) Ich verstehe natürlich das man in seiner Freizeit nicht mit Bergen von Euqipment herumrennen möchte. Auch das es gewisse Bereiche gibt (z.B. Dokus, EB, Hochzeitsfilmer usw), wo es tatsächlich darum geht möglichst schnell und flexibel zu sein.

Der allgemeine Trend geht aber immer mehr dahin, alles möglichst unkompliziert und schnell zu erledigen. So wie Rasenmähen, oder Bügeln. Eigentlich findet man alles nur lästig und der filmische Prozess, zu dem auch vieles technische Gehört (Belichtung, Fokus ect.) überläßt man lieber der Kameraautomatik, oder verlagert es in die Post. Bloß keine falsche Entscheidung treffen. Du merkst, ich übertreibe, aber so wird die Haltung deutlicher. Liegt natürlich auch daran, daß Ich die Zeit viel lieber mit der Kamera in der Hand, als am Computer in der Post, verbringe. Und die Vorstellung das Filmen als reine Datenerfassung zu sehen ignoriert, in meinen Augen, auch alle künstlerischen Komponenten des Filmens.

VG
Meine Lieblingsfilme:
Es war ein Mahl in Amerika
Molkerei auf der Bounty
Dune - Der Würstchenplanet



Darth Schneider
Beiträge: 19512

Re: 180-Grad-Regel veraltet, motion blur lieber in der Post?

Beitrag von Darth Schneider »

Also ich lasse den Shutter grundsätzlich bei 25FpS auf 180 und wenn ich SloMo machen will, wechsle ich auf 360. irgend wie sehe ich jetzt gar keinen Grund daran was zu ändern….oder in Post mit Motion Blur was zu machen. (und habe auch zu wenig persönliche Erfahrungen damit)…
Ausser betreffend dem was Frank schon angesprochen hat, für Keying…

Auf der anderen Seite wenn der Cantsin so einen besonderen Look (Effekt) hinkritzeln kann, der ihm gefällt warum auch nicht, die NDs gleich ganz weglassen…?
Interessant !

Ich meine nur weil sich jetzt der Tom Cruise gerne in echte Kampfflieger setzt ist das noch lange kein Grund das nicht zu probieren..:=)

Gruss Boris



Frank Glencairn
Beiträge: 23166

Re: 180-Grad-Regel veraltet, motion blur lieber in der Post?

Beitrag von Frank Glencairn »

pillepalle hat geschrieben: So 18 Sep, 2022 03:12

Und was Du praktischen Aspekt nennst, würde ich unter normalen Umständen als Faulheit bezeichnen. Das Ideal ist für viele scheinbar der hosentaschengroße Vollautomat. Ein externer Rekorder wird als riesen Handycap bei der Arbeit gesehen, echte Filter als umständlich und teuer und ein Stativ mitzunehmen ist ohnehin eine Zumutung
Hätte von mir sein können ;-)

Und ja, das ist eine Entwicklung die ich schon seit Jahren sehe.
Alles was den Job an Arbeit, Mühe, Best Practice und Skills ausmacht wird gemieden wie der Teufel das Weihwasser.

Das ist ne Haltung, die allerdings hauptsächlich aus der Richtung der Rucksackfilmer kommt.
Wer nicht an einem normalen Set mit Crew arbeitet, sondern halt "wild" als one-man-show an irgendwelchen öffentlichen Orten ohne Genehmigung dreht, entwickelt offensichtlich ne Gear-Phobie.

Diese entsteht IMHO einerseits daraus, daß man halt nicht einfach mit nem Truck da hin fährt wo man arbeitet, sondern alles zu Fuß in einem Rucksack rumschleppen muß, und wird andererseits aus der Angst gespeist damit nicht irgendwie aufzufallen und womöglich erklären zu müssen, was zum Teufel man da denn eigentlich macht.

Deshalb wird versucht so weit wie möglich im Stealth Mode unter dem Radar zu fliegen, und gerade noch so als Tourist durchzugehen.
Unter solchen Arbeitsbedingungen ist natürlich ein Stativ oder ein Kompendium und alles was irgendwie Zeit kostet schon ein Problem.

Bei Hochzeiten, Events und dergleichen halte ich das allerdings eher für ein reines Konzeptions/Planungsproblem.
Sapere aude - de omnibus dubitandum



Darth Schneider
Beiträge: 19512

Re: 180-Grad-Regel veraltet, motion blur lieber in der Post?

Beitrag von Darth Schneider »

Man ist ja auch irgendwie absolut selber schuld wenn man mit dem Rucksack zu Fuss ohne Auto Hochzeiten und Events filmt..
Hab ich früher auch so gemacht,,würde ich aber nie mehr machen..

Autos sind doch schon sehr praktisch, kommen fast überall hin und sind für viel dümmeres zu missbrauchen..;))
Und die Zeit ist zu wertvoll um sie beim arbeiten (wartend) auf Bahnhöfen zu verschwenden.
Gruss Boris



iasi
Beiträge: 24486

Re: 180-Grad-Regel veraltet, motion blur lieber in der Post?

Beitrag von iasi »

pillepalle hat geschrieben: So 18 Sep, 2022 03:12
cantsin hat geschrieben: Sa 17 Sep, 2022 22:56 Im Falle der 180-Grad-Regel und der dafür nötigen NDs bedeutet das ja, dass ich für eine ansprechende Bewegungsdarstellung das Bild in mehreren Aspekten qualitativ mindere: durch den vorgesetzten Filter und dessen optischen Artefakte, und eben durch mehr Unschärfe im Bild. Und dann kommt - wie beim Gelbfilter - noch der praktische Aspekt hinzu, dass es ohne einfacher und schneller geht.
Das fällt für mich schon in den Bereich der Esoterik. Diese ganzen Qualitätsdiskussionen sind spätestens in dem Moment in dem sich die Kamera bewegt hinfällig. Unabhängig davon sieht bei guten Filtern, selbst bei statischer Kamera, kein Mensch einen Qualitätsunterschied.

Handkamera bei 180° erzeugt Bewegungsunschärfen, die z.B. eine Softwarestabilisierung kaum mehr möglich macht.
Eine gezitterte Handkameraaufnahme erkennt man dann, auch wenn die besten Gyro-Daten vorliegen.
Auch bei langen Brennweiten sind die Microruckler bei 45°nicht mehr so tragisch, denn die nachträgliche Stabilisierung kann ihre Arbeit ordentlich verrichten.

In den Bereich der Esoterik fällt es hingegen, wenn man solche Bildfehler als cinematisch einstuft, nur weil man sich früher daran gewöhnt hatte.



iasi
Beiträge: 24486

Re: 180-Grad-Regel veraltet, motion blur lieber in der Post?

Beitrag von iasi »

Darth Schneider hat geschrieben: So 18 Sep, 2022 09:21 Man ist ja auch irgendwie absolut selber schuld wenn man mit dem Rucksack zu Fuss ohne Auto Hochzeiten und Events filmt..
Hab ich früher auch so gemacht,,würde ich aber nie mehr machen..

Autos sind doch schon sehr praktisch, kommen fast überall hin und sind für viel dümmeres zu missbrauchen..;))
Und die Zeit ist zu wertvoll um sie beim arbeiten (wartend) auf Bahnhöfen zu verschwenden.
Gruss Boris
Mach mal einen Schwenk mit sehr langer Brennweite über eine Landschaft, während der Wind in Böhen bläst.
Da brauchst du dann gleich mal ein "besonders stabiles" Stativ.

Klar fallen die Unschärfen durch die ungewollten Kamerabewegungen bei Smartphone-WW-Brennweiten nicht auf, aber wenn man den Hintergrund in seinem Bildaufbau mit einbeziehen will, braucht man eben oft auch längere Brennweiten.



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