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Fluidköpfe für Videoanwendungen



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pillepalle
Beiträge: 8412

Fluidköpfe für Videoanwendungen

Beitrag von pillepalle »

Hallo Zusammen,

ich wollte mal etwas zum Thema Fluidköpfe posten, gerade weil man Informationen dazu selten irgendwo gesammelt findet. Meist handelt es sich um Reviews/Tests zu einzelnen Produkten, bei denen einzelne oder wenige Hersteller hervorgehoben und miteinander verglichen werden. Zumindest ging es mir kürzlich so, als ich mir einen neuen Stativkopf zugelegt habe und erst selber ein wenig recherchieren musste.

Natürlich gehören die 'Sticks' (Stativbeine) unweigerlich dazu, sind aber wieder ein recht umfangreiches Thema für sich. Auch bei den Stativköpfen beschränke ich mich auf einen speziellen Bereich, nämlich den ENG, Dokumentar-, bzw. den 'small to no crew'-Einsatz. Und davon auch nur die Fluidköpfe mit Gewichtsausgleich (Counterbalance). In der Regel fallen in diese Kategorie Kamerapakete unter 18kg.

Stativköpfe für den Cinebereich sind deutlich größer und teurer und auch eher was für den Rent. Selbst die kleinsten von O'Connor, Cartoni, oder Miller, fangen in der Regel bei 4-5 kg Eigengewicht und einem Preis ab 7.000,- € aufwärts an. Auch haben sie meist eine Flat-Base (häufig mit Mitchell-Mount) und brauchen von Haus aus schon ein solides Stativ als Basis. Die ganzen Carbon-Leichtgewichte sind dafür also schon mal außen vor. Auch der professionelle Broadcastbereich ist eher speziell und dürfte die wenigsten hier interessieren.

Natürlich verschieben sich auch hier die ohnehin schon fließenden Grenzen immer weiter. Immer kleiner und leichter werdende Kameras verlangen natürlich auch seltener nach großen Köpfen und schweren Sticks. Aber prinzipbedingt unterscheiden sie sich dann auch im Handling. Wo es bei ENG, oder im Dokubereich, eher um Schnelligkeit und Flexibilität geht, geht es beim Spielfilmdreh eher um Solidität und Präzision. Eine Zeitersparnis im Sekundenbereich spielt eine geringe Rolle, wenn man die Kameraposition nur 5 Mal am Tag ändert. Und auch ein Gewichtsunterschied von 8 kg ist unwesentlich, wenn man ohnehin mit insgesamt 500 kg Equipment unterwegs ist.

Und da ist man auch schon mitten im Thema. Nach welchen Kriterien soll man einen Stativkopf auswählen? Nach dem Kameragewicht natürlich, das ist eine technische Notwendigkeit, um die einwandfreie Funktion zu gewährleisten.

Die Gewichtsangaben für Fluidköpfe beziehen sich dabei auf das Gesamtgewicht des Kamerapakets mit dem der Gewichtsausgleich noch funktioniert. Meist wird dabei ein Gewichtsbereich angegeben, der allerdings mit etwas Vorsicht zu genießen ist. Denn was an Kameragewicht noch ausgeglichen werden kann, hängt wesentlich von der Lage des Masseschwerpunkts ab. Je höher der Schwerpunkt, desto stärker muss der Ausgleich (die Counterbalance) sein. Die meisten Hersteller stellen daher Diagramme zur Verfügung, bei der das Kameragewicht in Beziehung zur Höhe des Masseschwerpunktes gesetzt wird.

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Dem aufmerksamen Beobachter wird dabei auffallen, dass eine Angabe wie z.B. 'von 0-12 kg geeignet' nur bedingt zutrifft. Die sehr geringen Gewichte werden in der Praxis nie ausgeglichen, weil sie sehr hohe, praxisferne, Schwerpunkte haben müssten. Realistisch gesprochen braucht es in der obrigen Grafik also mindestens ein Kameragewicht von 1 kg oder mehr damit die Counterbalance richtig funktioniert. Man sollte solche Angaben also immer mit einer gewissen Vorsicht genießen und einen kleinen Puffer mit einkalkulieren, auch nach oben.

Beim Thema Gewichtsausgleich sollte man auch noch erwähnen das es prinzipiell zwei Arten von Gewichtsausgleich gibt. Den Gewichtsausgleich in festen Stufen und den stufenlosen Gewichtsausgleich. Beide haben ihre Vor- und Nachteile. Die Vorteile des Gewichtsausgleichs in Stufen ist der, dass man schneller eine wiederholbare Einstellung findet. Der Vorteil des stufenlosen Gewichtsausgleichs ist der, dass man jedes Kamerasetup perfekt ausbalancieren kann. Wer also mehr Wert auf Geschwindigkeit legt, ist in der Regel mit Stufen besser bedient, wem es um perfekte Balance geht, eher mit dem stufenlosen Ausgleich.

Arbeiten kann man mit beiden in der Praxis recht gut. Die besseren Köpfe haben mittlerweile 16 Stufen, mit denen man meist auch schon eine perfekte Balance erreicht. Wenn es nicht ganz passt, kompensiert man das in der Regel ein wenig mit der Dämpfung der Achse. Und die besseren Stufenlosen haben auch Skalen, mit denen sich Einstellungen schnell wiederherstellen lassen.

Ähnliche Unterschiede gibt es beim auch bei der Dämpfung für die Neigung und den Schwenk (Drag). Sie kann Stufenlos sein, oder sich in Stufen einstellen lassen. Auch hier gibt es Stativköpfe, bei denen es praktisch keine Null-Dämpfung gibt. Sie also auch bei niedrigster Einstellung immer ein wenig Dämpfung haben. Das kann z.B. für einen Reißschwenk/Whip-Pans suboptimal sein.

Die Frage der Stativkopf-Basis ist in erster Linie eine Frage der Präferenzen. Die etwas universellere Flat-Base, oder die praktische Kugel. In der Regel entscheiden sich die meisten für eine Kugel (für eine schnelle Nivellierung). Die gibt es in drei gängigen Größen (75mm, 100mm, 150mm) und mit wachsender Größe wächst auch die Stabilität des Systems. Vor allem größere Kameras mit langen Brennweiten profitieren von großen Kugeln. Für Köpfe mit flacher Basis kann man aber auch Halbkugeln optional dazu kaufen und sie somit genauso wie Köpfe mit fester Kugel nutzen. Und auch bei Köpfen mit fester Kugel, kann man in der Regel die zentrale Fixierschraube lösen und die mit dem abgeflachten Ende der Kugel flach montieren. Gute Köpfe sind meist auch gut auf die jeweilige Situation adaptierbar.

Etwas wirklich neues bot diesbezüglich vor zwei Jahren die Firma Sachtler, die mit ihrem Speed Swap und Speed Level System noch mehr Tempo in die Montage und Nivellierung brachte. Entgegen der klassischen Kugel, die über eine lange zentrale Schraube fixiert und nivelliert wird, wurde ein neues Schnellverschluß-System mit einem zentralen Pin vorgestellt. Dies lässt sich nun über einen Hebel am Stativkopf schnell entfernen, oder nivellieren, je nachdem wie weit man den Hebel bewegt. Das ewig lange Schrauben beim Wechsel des Kopfes auf einen anderen Kamerasupport entfällt also. Dafür hat man aber keine universelle Schraube mit 3/8 Zoll Gewinde mehr, sondern einen proprietären Schnellverschluß-Pin, den man sich dann auch als Zubehör-Adapter an allen anderen Geräten befestigen muss (z.B. einem Slider, einem Jib, einem anderen Stativ, usw). Interessant ist das System also vor allem für Nutzer, die den Kopf häufiger vom Stativ auf eine andere Plattform wechseln.

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Auch die Kameraplatte und dessen Aufnahme spielt noch eine Rolle. Der gängigste Typ dürfte für kleinere Kamerasysteme die klassische Manfrotto-Platte sein. Größere Systeme verwenden dann meist eine Euro-Type, oder eine Cine-Style-Platte.

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Eurostyle Platte

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Cine-Style Platte

Auch gibt es Sideload-Systeme (die Platte wird seitlich eingeschoben), oder Topload-Systeme (die Platte kann von oben aufgesetzt werden). Die Sideload-Systeme sind etwas fummeliger, haben dafür aber längere Verstellwege (um die Kamera zu balancieren), die Topload-Systeme sind praktischer/einfacher vom Handling, haben dafür aber kürzere Verstellwege der Platte.

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Manfrotto Sideload-System

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Manfrotto Topload-System

Die Grundfunktionen der Köpfe sind damit eigentlich beschrieben. Darüber hinaus sind es viele kleine Details, die sie unterscheiden. Wie groß sind die möglichen Neigewinkel, wo lassen sich Schwenkarme befestigen, sind Ersatzkameraschrauben vorhanden, wie lässt sich Zubehör befestigen, sind die Libellen beleuchtet und gut lesbar, usw. Bezüglich der Libelle hat Sachtler bei den aktiv-Köpfen übrigens eine recht vorbildliche Prismenkonstuktion, die auch ein seitliches ablesen der Libelle bei hohen Kamerapositionen ermöglicht.

Ganz allgemein lässt sich vielleicht noch sagen, dass auf dem Kamerakopf und Stativ-Markt mit der Vivendum-Gruppe (ehemals Vitec) eine gewisse Monopolisierung stattfindet. Zu ihr gehören, neben Manfrotto, viele renomierte Herstellernamen, wie Sachtler, Vinten, und O'Connor, um nur mal im Video-, Broadcast- und Cinebereich zu bleiben. Daneben gibt es noch wenige mittelständische Unternehmen, wie der italienische Hersteller Cartoni (hat als erster Hersteller den stufenlosen Gewichtsausgleich eingeführt), oder der australische Hersteller Miller (war Ende der vierziger Jahre der erste Hersteller von Fluidköpfen). Und natürlich eine ganze Reihe weniger bekannter wie Ozen, Libec, Camgear, oder E-Image, oft mit asiatischer Produktion. Hier alle aufzuzählen würde auch den Rahmen sprengen.

Zum Schluß noch eine kleine Tabelle mit ein paar aktuellen Fluidköpfen mittlerer Größe der bekannteren Hersteller. Die Preise dienen auch nur zur groben Orientierung und neben den UVPs zur Markteinführung, habe ich auch noch aktuelle Straßenpreise herausgesucht. Warum es Teilweise so eine große Diskrepanz zwischen UVP und Straßenpreis gibt, liegt vielleicht auch am Marketing. So hat der Käufer immer das Gefühl ein Schnäppchen zu machen, denn der Kopf ist ja so viel günstiger als normal. Auch wenn er praktisch nie wirklich zum UVP verkauft wurde :)

Bild

Das ist natürlich nur ein unvollständiger Abriss, aber vielleicht kann er ja noch durch weitere Posts ergänzt werden. Auch gerne Erfahrungsberichte, oder Pros und Cons zu bestimmten Köpfen.

VG
Meine Lieblingsfilme:
Es war ein Mahl in Amerika
Molkerei auf der Bounty
Dune - Der Würstchenplanet



TomStg
Beiträge: 3422

Re: Fluidköpfe für Videoanwendungen

Beitrag von TomStg »

Der Vollständigkeit halber gehört noch das V-Lock-System bei den Kamera-Aufnahmen erwähnt. V-Lock ist für ENG sehr verbreitet.

Zum Beispiel so etwas:
https://www.chrosziel.com/de/vct-quick ... ck-401-150
Zuletzt geändert von TomStg am Sa 01 Okt, 2022 19:05, insgesamt 1-mal geändert.



pillepalle
Beiträge: 8412

Re: Fluidköpfe für Videoanwendungen

Beitrag von pillepalle »

Danke! Stimmt... heißt das nicht VCT-System?

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VG
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Dune - Der Würstchenplanet



TomStg
Beiträge: 3422

Re: Fluidköpfe für Videoanwendungen

Beitrag von TomStg »

Es wird unterschiedlich bezeichnet.



Frank Glencairn
Beiträge: 22700

Re: Fluidköpfe für Videoanwendungen

Beitrag von Frank Glencairn »

Prima Zusammenfassung Pille.

Was ich noch ergänzen möchte ist, daß die Gewichtsangaben mit flachen Blei-Platten gemacht werden.
Da Kameras aber gewöhnlich höher bauen, ist es eine alte Daumenregel mindestens eine Kopf wählen, der 50% mehr trägt als die eigene Kamera in der maximalen Ausbaustufe. Also wenn die Kamera 10 Kilo wiegt, wäre ein Kopf mit 15 Kilo Rating angesagt.
Sapere aude - de omnibus dubitandum



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