kling hat geschrieben: ↑Mo 30 Mai, 2022 15:59
Filmemacher, deren Budget und Ego zu groß sind, kommen halt auf solche schräge Ideen. Für den Kinobesucher bringen solche Schrullen visuell praktisch null, weil für die Postpro sofort ein digitales Intermediate hergestellt wird. Das Aufnahme-Medium hat absolut nichts mit der gestalterischen Entscheidung zu tun, welche Effekte physikalisch direkt am Set realisiert werden. Auch Tarantinos lustige Legende vom durchgängigen Analog-Kopierprozess ist bloß für seine (leicht)gläubigen Jünger gestrickt worden.
Steile These!
Jemals selbst auf Film gedreht? Oder fotografiert?
Natürlich bringt es nicht mehr oder weniger technische Qualität auf Film oder digital zu drehen. Wie du sagst, Post passiert meist eh digital. Aber was glaub ich bei vielen dieser Technikdiskussionen extrem unter den Tisch fällt, sind wirkliche Setrealitäten die nur zwischen der ganzen Technik passieren und erfahrungsgemäß macht das für jedes Endresultat viel mehr aus als die Wahl der Kamera oder der Optiken oder ob das jetzt Aputure oder Nanlite baut. Sondern da geht's prinzipiell um Welten und nicht um Feinheiten. Da geht's um Kilogramm und Zeit und nicht um Pixel-Pitches oder Mount-Adapter.
In einer idealen Welt stellst Du eine Pocket 4K mit Speedbooster mit der gleichen FF-PL-Optik neben eine Alexa und am Ende kommt ein "ähnlich genug-es" Bild raus, das 99% aller Zuseher dann ohnehin nicht mehr unterscheiden können. Passiert aber so nicht. Ist es deswegen Egotrip, auf Alexa zu drehen? So wie auf Film?
Was folgt ist weniger meine Theorie, als eine die ich immer mal wieder von älteren OBs oder ACs höre: Ja, digital ist ein Segen. Aber kein Segen ohne Fluch.
Dass gefühlt jeder 3.-Reihe-Rechts-hinten-Setrunner mittlerweile einen Monitor am Set hat, hilft schon, dass es schnell geht. Jeweils ein eigener Monitor für Operator/+DP, AC, Regie, Maske+Ausstattung. Und es ermöglicht schnell, halbwegs gute Entscheidungen treffen zu können. Die Betonung liegt auf Halbwegs gut.
Zu Zeiten wo das nicht möglich war, war mehr Vorbereitung am Start, wurde genauer gearbeitet und weniger schnell entschieden. Es wurde trotz der guten Vorbereitung mehr geschwitzt. Aber es wurde deswegen auch Triple-Gecheckt. Die Drehpensen waren kleiner, es musste mehr vorgeleuchtet werden, das sind alles Sachen die bringen eines: Qualität. Trotz des eigentlich einschränkenden Faktors des eingeschränkten Monitorings, weniger Magazinwechseln, schwerere Technik.
Was glaub ich von sehr vielen immer vergessen wird ist, dass das Bild sehen zu können ein extremer Luxus ist. Es gab Zeiten, da hat des genau der Operator gesehen, dann kam Ausspielung und der Rest war Vertrauen, Kontrolle, Können (Schärfen ohne Monitorausspielung bei T2 auf der Steadicam, Freiwillige vor?), fehlende Kontrollmöglichkeiten.
Es ist ein Segen, dass heute jeder mit einer 4K-Pocket für 1000€ kinoreife Bilder drehen kann, das eigene Können vorausgesetzt. Aber wieso sieht man dann immer noch keine Spielfilme, die auf Pockets gedreht werden jede Woche im Kino laufen?
Vielleicht weil eine Pocket für kinoreife Bilder dann doch den gleichen Aufwand bedeutet, wie wenn man eine Alexa nimmt. (Und wenn darum 35 Leute werkeln, spielt der Preis für die Kamera einfach keine Rolle mehr) Stellt man eine Pocket auf ein 150€ Stativ sieht jeder Schwenk und jedes Mal die Kamera berühren nicht nach Spielfilm-Pan aus, sondern nach schlecht gewackelt-geschwenktem Irgendwas. Ist das die Schuld der Pocket? Nicht mal so sehr. Ist das die Schuld des 800g Stativs gegen das 10kg O'Connor mit 15kg Kamera drauf? - wohl eher. Könnte man trotzdem perfekte Schwenks mit einem 150€ Stativ machen. Mitnichten. Sieht man die ständig? Kaum.
Es kann auch heute jeder mit seiner Drohne Luftaufnahmen machen, nach denen sich die meisten früher die Finger geleckt hätte, weil hieß es Hubschrauber mit ShotOver mit dementsprechendem Flugminutenpreis oder halt nicht. Dass das 120mm Zoom am langen Ende auf S35 im Heli eine andere Paralaxe zum Auto unten auf der Bergstraße macht als das 21mm Weitwinkel an der 1" Drohne vergessen halt auch manche. Und drum sieht man halt auch keine 1" Drohnen im Kino - Inspires fast die Ausnahme, aber da kann man auch mal ein 50er anstecken ;)
Gewicht ist aus so ein Faktor: Es hat Nüsse mit Ego oder einem elitären Entitlement zu tun, das Gewicht von Kameras in die Bildgestaltung mit einzubeziehen. Ok, steht die Kamera am 150er Kopf am Stativ und niemand fasst das Ding an, ist es tatsächlich egal. Aber was sieht jetzt - seid mal ehrlich zu Euch besser aus - die 10 mal probierte post-stabilisierte Zufahrt vom mittelmäßig überladenen Einhandgimbal oder die auf Marke 5x exakt gleich exekutierte (während die Schauspieler an der Performance feilen) Zufahrt mit dem Dolly?
Es ist klar, dass sich ein mit Bildstabi aus der Hand geschossenes Bild schneller erzeugen lässt als die Kamera aufs Mitchell-Stativ zu packen und dann 3 Rändelschrauben aufzudrehen um das Ding mal ins Wasser zu bringen (das ist der Punkt über den ich zumindest streiten würde, ob 150er wirklich so viel schlechter ist als Mitchell, aber erzähl das mal den Amis...).
Aber was wird das schönere, komponiertere, passendere Bild sein? Ich trau mich fast wetten, jenes von der großen schweren Kamera, wo nach einigen Gedanken erst mit Plan entschieden wurde, wo das Ding hinkommt statt den zweitbesten Ort zu wählen weil's eh so schnell und einfach geht alles.
Seien wir mal ehrlich, wenn jemand die Erfahrung schon gemacht hat: Jeder, der schon mal 2 Grips 10m Dollyschienen in der Wiese hat legen lassen, weiß wie sehr Du trotz Vorbereitung und einen kurzen Blick durch den Viewfinder für Anfang/Ende schwitzt, ob nicht doch ein halber Meter weiter vor oder hinten die richtigere Entscheidung gewesen wäre. Und trotzdem ist es dann diese Reproduzierbarkeit, wenn das Ding mal steht, die dann wenn's passt Geld + Zeit wert ist.
Umlegen geht natürlich auch (wenn die Vorbereitung nicht gut war), das kostet Zeit und stiftet Unmut. Wieso es dann trotzdem mit Dolly passieren muss? Willst Du den perfekten Schauspieltake noch mal machen, weil diesmal halt "der Gimbal nicht so gut war"?
Warum jetzt Film tatsächlich auch "besser" sein kann als digital? Du kannst nicht so viel drehen. Alles kostet mehr, deswegen muss präziser und besser gearbeitet werden. Niemand drückt Dir noch 2-3 Setups mehr am Tag rein, wenn dann die Qualität vom Rest leidet. Das tut sie digital auch, aber es ist gerade immer so möglich, dass sowas angedacht wird.
Wenn jetzt diese Regisseure das Budget haben, um tatsächlich auf Film drehen zu wollen (noch), dann gibt es dafür legitime Gründe, die nicht in einer "Digital egal, drehen wir den Take halt noch einmal"-Mentalität zu suchen sind. Dass sich Digital für 99,8% aller Drehs durchgesetzt hat ist genau so legitim, wie dass die 0,2% halt dann auf Film gedreht werden.
Welcher Film wird weniger Einstellungen brauchen? Bessere Shooting Ratio? Welcher Film wird bessere Proben haben und weniger verhaute Takes wegen Fokus (ja ich wette sogar darum), Operating? Ich glaub fast letzterer.
Wieso dreht auch nicht jeder Spielfilm mit reduzierter Crew, Autofokus und Foto-Optiken auf Gimbal mit der Pocket? Das wäre doch die einzig richtige Entscheidung? Schließlich ist das auch nur ein Business alles und wenn das alles so viel einfacher geht und jeder Deut mehr schon in Egotrip ausartet, das müssten doch alle so machen? Ob das jetzt alle so machen, lass ich mal offen.
Man kann über so vieles diskutieren und muss auch nicht immer einer Meinung sein, aber vieles ist schlicht und einfach eine Frage der Perspektive. So scheint nicht mal die monitoringkontrollmäßige digitale Glückseligkeit für jeden das Richtige zu sein, für jemand anderen ist es einfach für 1000€ eine kinoreife Bildqualität gemacht zu haben. Jeder, der mal länger als 3 Wochen an einem Projekt am Set mitgearbeitet hat weiß, dass der Film im Normalfall zwischen all diesen Sachen passiert und nicht anhand von etwas, das man in einem Spec-Sheet wiederfindet.