Noch eine Mikrofonfrage: Es scheint ja so eine Art Glaubenssatz zu sein, dass man bei Film/Video -mikrofone mit möglichst großer Richtwirkung braucht. Andererseits wird in US-Indiefilmforen diskutiert, ob man in Innenräumen nicht eher weniger gerichtete Mikrofone (zb Oktava, Rode) einsetzen sollte, da dort wegen der Reflektionen Richtmikros besonders hohl und flach klingen. Und auch im Aussenbereich klingen die für Atmos, aber auch geangelte Sprache auch ganz gut. Entgegen den Vorurteilen muss man auch nicht bseonders nah rangehen, weil es angeblich Musikmikros sind, also 10, 20 cm oä., sondern sie klingen nach übereinstimmender Meinung sogar als Nachvertonungsmikros besser mit etwas mehr (!) Abstand. Das Rode NT3 wird ja auch schon als "Hypercardioid" eingeordnet.
Für Dokumentar- oder Berichterstattung ist klar, dass die Sprache des "Talking Head" absolute Priorität hat und der Rest/Atmo eher unerwünscht ist und künstlich zurückgedrängt werden soll, also maximale Richtwirkung und Auslöschung von unerwünschtem Umgebungsklang. Aber bei inszeniertem oder experimentellen Film möcht man vielleicht ja gerade die Umgebung/Atmosphäre mit einfangen, und legt vielleicht eher Wert auf glatten Frequenzgang und Bässe, die bei Richtmikros oft fehlen. Woher kommt also dieses Richtmikro/Keulen-Dogma? Warum sollte man Filmton, wenn möglich, nicht nach den selben Grundsätzen wie Musikinstrumente aufnehmen? Niemand würde einen Flügel mit einem Richtmikro aufnehmen.
ennui hat geschrieben:Es scheint ja so eine Art Glaubenssatz zu sein, dass man bei Film/Video -mikrofone mit möglichst großer Richtwirkung braucht.
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Warum sollte man Filmton, wenn möglich, nicht nach den selben Grundsätzen wie Musikinstrumente aufnehmen? Niemand würde einen Flügel mit einem Richtmikro aufnehmen.
Beim Videoton ist es nicht anders als bei reinen Tonaufnahmen (z.B. von Musik). Es gibt kein Mikro, das allen Situationen gerecht wird. Je nach Situation und gewünschtem Ergebnis kommen völlig unterschiedliche Mikros zum Einsatz.
Ja, aber als erstes oder Standardmikro wird einem zb hier immer erstmal das übliche Richtmikro empfohlen. Und dann vielleicht ein Lavalier. Und dann ein etwas besseres Richtmikro. Und auch die Hersteller bauen entweder Stereomikrofone, oder Richtmikros als dezidierte Kamera-(Zubehörschuh) oder Video-Mikrofone. Dass auch ganz andere Mikros, die eher aus der Musikwelt kommen, mit Hyperniere/Niere, für Video taugen, erfährt man nur gelegentlich aus den Produktbeschreibungen, wenn da auch noch was von Location oder Broadcast steht. Bei den größeren Membranen scheint Wind zwar ein Problem zu sein, das Rode NT3 habe ich bisher trotz Windschutz/Dead-Kitten-kombination nicht wirklich unempfindlich bekommen. Aber sonst klingt es super. Beyerdynamic MCE93, "für Choraufnahmen" - traumhaft. Aber man liest hier kaum was über solche Mikros, im Semiprobereich. Daher die Frage.
Du erwähnst es selbst: Richtmikros blenden tendenziell Atmo aus und isolieren die Schallquelle, auf die sie gerichtet sind. Das ist günstig, wenn man etwa Dialoge als neutrale Spur bei der Mischung haben will, und die Atmosphäre selbst hinzufügt.
"Es wird" Anfängern empfohlen, "man" empfiehlt es. Das heißt nicht, dass es keine Alternativen gäbe. Sehr viele ja sogar. Wenn einer bewusst einen anderen Mikrofontyp einsetzt, und damit die von ihm beabsichtigte Wirkung erzielt, umso besser. Als Anfang der 70er die ersten Sennheiser Funkstrecken die Richtmikros in vielen Fällen ersetzten, führte das nicht zu einer Grundsatzdiskussion. Die meisten hier sind aber dankbar für den Richtmikrotip, nachdem sie von ihren eingebauten Stereomics nur unkontrollierbare Atmo bekamen.
Jede Regel hat ihre Berechtigung, heiße Herdplatten für Kinder, Richtmikros für Reportagen, usw. Für Kreative sind Regeln eine Provokation, und man versucht, sie zu überwinden. Zum Glück, sonst würden wir vielleicht menschliche Darstellungen nur im Profil sehen und unseren Chefs als lebende Grabbeigaben in die Ewigkeit folgen ...
Na und? Im Fernsehen wird ja auch alles wiederholt ...
Ich finde das ein interessantes Thema: Gibt es bei Filmton eine Art Klangästhetik, die sich wie bei der Kamera über die Zeit immer wieder ändert, weil Leute mal alles anders machen wollen? Zum Beispiel habe ich gerade so eine Art 70er-Kino-Klangästhetik im Kopf, bestimmte Filme, wo man viel O-Ton und Atmo hört bei Dialogen auf der Strasse, und wo man die Bässe des Verkehrs so richtig laut, fast störend, hört und der Ton also technisch garnicht so perfekt ist, aber offensichtlich so gewollt. Irgendwie dreckig und authentisch wirkend. Passend zur Musik der Zeit damals. Und als Gegensatz der Postproduction-Protools-Einheitssound von heute, mit den ganzen metallischen runtergepitchten Samples und Chemical-Brothers-Soundtracksund diesem glasklaren, syperdynamischen kalten Klang.
Gibt es irgendwo Diskussionsforen oder Informatinen zu dem Thema?
ennui hat geschrieben:Gibt es irgendwo Diskussionsforen oder Informatinen zu dem Thema?
Weiß nicht, aber ich finde deinen Gedanken schon sehr spannend.
Seit es Tonfilm gibt, wird der Ton auch als synthetisch begriffen: King Kong (1933) verdankt sein Brüllen den Geräuschemachern, und alle Tonevents außer der Sprache auch. Die Mikrofone waren so schwach empfindlich, dass die Schauspieler fast brüllen mussten.
Die Tonqualität der Filme aus den 70ern war in der Präsentation schlechter als heute. Analoger Lichtton ist schon per se nicht besonders sauber, dann hatten die Kinos keine Rauschunterdrückung, und außerdem waren die meisten Filme Mono (bis auf zwei, drei Stereo-Musikfilme und ebenso viele 70mm 6-Kanal Magnettonfilme). Dass es in der Regel aber eine Abmischung gab, und die Absicht, einen suggestiven, absichtsvollen, einen Effekt-Ton zu machen, glaube ich bestimmt.
Na und? Im Fernsehen wird ja auch alles wiederholt ...
Steigt der Anspruch, steigt der Aufwand:
Wenn die "Kamerakind Lukas"-Aufnahmen einen nicht mehr vom Hocker hauen, denn wird zu Anfang schon mal ein Stativ benutzt. Später wird aus der DV-Cam ein HDV-Henkel, dann die HD-Schulter-Cam, usw.. Hinzu kommen verschiedenste Filter für verschiedenste Situationen. Wenn es irgendwann um Schärfentiefe geht, ein Adapter. Das ist bekanntlich endlos fortsetzbar.
Beim Ton ist es aber doch nicht weniger aufwendig: Im Urlaub reicht das Cam-Mic, bei Interviews Lavalier- oder Hand-Mic, bei Panorama sinnvollerweise externer Stereo-Ton (u.a. damit das Gesummer der Cam nicht stört) und bei Konzerten wird die Stereo-Summe aus dem Mischer genommen (ein Signalbrei aus zig dynamischen und Kondensator-Mics). Für Aufnahmen aus größerer Entfernung benötigt man eben ein Richtmikro, z.B. zur akustischen Hervorhebung des relevanten Bildausschnitts. Usw., usw.
Ausserdem sagte meine Mutter schon damals zu mir: Halte Dich besser fern von Menschen, die nur von Richtmikros sprechen, das sind meistens Spanner:-)
Wobei mich in diesem Zusammenhang interessiert, ob der Ton bei Dokus mit Insektenaufnahmen aus der Konserve kommt oder ob es spezielle, hyperhochempfindliche Mics gibt, die das bunte Treiben tatsächlich akustisch einfangen können. Es ist für mich nur schwer vorstellbar, dass Ameisen oder Käfer so laut tippeln, dass ein Mikro es "hört". Sämtliche Mics haben doch ein Eigenrauschen, dass überwunden werden muss. Da kann ich den Rec-Level ruhig bis zum Anschlag ziehen - das Eigenrauschen wird dadurch ja nicht leiser, im Gegenteil. Wie wird so etwas gemacht? Filmt hier vielleicht jemand Ameisen?
Es gibt schon Mikros und Vorverstärker mit extrem geringem Eigenrauschen. Aber auch damit dürfte es nicht gelingen, die Laufgeräusche einer Ameise aufzunehmen. Dazu müssten die sonstigen Raumgeräusche deutlich leiser sein, als die Ameise. Ein Richtmikro dämpft zwar die Raumgeräusche, unterdrückt sie aber nicht komplett. Außerdem hat jede Membran hat eine Untergrenze, unterhalb der sie nicht mehr in Schwingungen versetzt wird.
Wer weiß, vielleicht lassen die ja Ameisen direkt über die Membran krabbeln.
Da kommen wir der Sache doch erheblich näher. Jedoch erklärt die avisoft-Seite leider nicht das Phänomen, Käfer oder Ameisen LAUFEN zu hören. Die angebotenen Hörbeispiele geben das wieder, was wir auch mit bloßem Ohr, wenn auch zum Teil nicht so deutlich, noch hören.
Mir geht es u.a. darum:
ich beobachte seit Jahren mit einem Lächeln kleine rot-schwarze Käfer oder Wanzen, die bei mir vorm Studio emsig auf dem Bürgersteig umher laufen und sehr cool aussehen. Manchmal dockt sich ein zweites Exemplar mit dem Kopf oder Hintern an den Kopf oder Hintern des ersten und dann gehen die zu zweit richtig ab. tippel tippel tippel... Spitze. Ich überlegte auch schon, die Dinger mal aus Spaß zu filmen, weil sie mich einfach amüsieren. Dabei fiel mir auf, dass, selbst wenn ich mich auf den Bürgersteig knie und mein Ohr ganz nah an den Boden bringe, ich nicht den Hauch eines Tons höre. Nur ganz ganz selten, wenn die Dinger über Blätter laufen, glaube ich etwas zu vernehmen.
Jedenfalls faszinieren mich diese Dokus, wo z.B. ein Mistkäfer eine Kugel rollt und man den Käfer sowie Kugel HÖRT! Ich versuche häufig, die Echtheit des Tons zu "kontrollieren" um zu wissen, ob der Käfer tatsächlich den Klang verursacht, oder ob er synthetisch erzeugt wird. Es klingt wie es aussieht - jede kleinste Bewegung passt zum Sound, bzw. umgekehrt. Es nachträglich hinzuzufügen wäre ein Riesenaufwand, der in keinem Verhältnis zum Ergebnis stünde, da viel zu teuer.
Kürzlich gab es sogar Unterwasseraufnahmen, bei denen man Krebse Löcher buddeln hören konnte. Im ersten Augenblick sagte ich mir: "Ja klar, Unterwasser... sicher." Aber dann kamen mir doch Zweifel, weil der Sound wirklich 100%ig synchron zur Aktivität war.
Anne Nerven hat geschrieben:... jede kleinste Bewegung passt zum Sound, bzw. umgekehrt. Es nachträglich hinzuzufügen wäre ein Riesenaufwand, der in keinem Verhältnis zum Ergebnis stünde, da viel zu teuer.
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Aber dann kamen mir doch Zweifel, weil der Sound wirklich 100%ig synchron zur Aktivität war.
Das berühmte Floh-Husten wäre schon von der Frequenz her für das menschliche Gehör kaum wahrzunehmen, soviel zum ersten ("In order to make these recordings completely audible, the speed has been slowed-down by the specified factor."). Wenn die Geschwindigkeit verlangsamt wurde, kann´s ja mit der Sychronität nicht mehr passen. Ich traue mir übrigens zu, einem Insekten-Clinch einen glaubwürdigen Soundtrack zu verpassen, mit mehr oder weniger den Utensilien auf meinem Schreibtisch und ein wenig Postpro, auch perfekt synchron.
Es gibt natürlich Insekten, deren Panzer diverse Knackgeräusche machen, die man mit bloßem Ohr hört, wer z.B. schon mal Hirschkäfer gesehen hat, weiß das. Eine Vogelspinne ist schwer genug, um bestimmte Materialien zu bewegen. Diese machen dann u.U. ein Geräusch.
Na und? Im Fernsehen wird ja auch alles wiederholt ...
Zuletzt geändert von Axel am Mo 15 Jun, 2009 23:39, insgesamt 1-mal geändert.
Ich bin mir wirklich nicht sicher, ob Du das tatsächlich hinbekämst. Nicht dass Du keinen Sound designen könntest, der zu Insekten passt aber die Aktivität z.B. eines Einsiedlerkrebses zu synchronisieren, wäre dermaßen zeitaufwendig, dass Dir das keiner bezahlen würde. Eine solche Doku dauert 45 Minuten. Ok, das Gewusel eines kompletten Ameisenhaufens ist eh nicht akustisch zuzuordnen, aber eines oder zweier Tierchen dauert arg lang. Das muss förmlich "lippensynchron" sein.
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